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Immer nur lächeln...

ESSAY / FRANZ LEHÁR

29/09/21 Wer war der Meister der melancholisch grundierten Sinnlichkeit und betörenden Melodik? Ein braver Biedermann mit Abgründen? Ein geschäftstüchtiger Unternehmer? Ein um seine jüdische Frau zitternder, diese rettende, in Falle seiner Librettisten eher hilfloser Nazi-Mitläufer voll politischer Naivität?

Von Gottfried Franz Kasparek

Franz Lehár (1870 bis 1948) komponierte in drei Arbeitsgängen und immer in der Nacht. Zunächst skizzierte er Melodien, die ihm nur so zuflogen. Dann baute er um und aus diesen musikalische Formen. Am Ende instrumentierte er, meist von hinten nach vorne und oft bis ans Ende der Proben im Theater. Arrangeure beschäftigte er, ganz in der spätestens seit Mozart währenden Tradition, im Regelfall nur für Potpourris oder Versionen für kleinere Orchester. Dies wird nicht nur durch Autographen, sondern auch durch Nico Dostal bezeugt, der im Falle von Das Land des Lächelns diese Nebenarbeiten 1929 erledigt hat. Dostal unterscheidet in seiner lesenswerten Autobiographie sehr exakt zwischen Arrangements und Instrumentationen, die er zum Beispiel für Walter Kollo erstellte. Lehár hat auch einmal schriftlich festgehalten, dass ein vollkommener Komponist nur der sei, der selbst instrumentiert.

Operette kann eine lebendige Kunstform sein, wenn sie mit Können, Geist und Gefühl gemacht wird. Das zeigt sich, bei aller Detailkritik, immer wieder beim Lehár Festival. Der 150. Geburtstag des dortigen Genius Loci wäre schon voriges Jahr zu feiern gewesen, samt der Uraufführung von Jenny W. Gregors Bühnenstück Dein war mein ganzes Herz. Dort kommt eben auch Lehárs Aussage vor, ein vollkommener Komponist sei nur der, der selbst instrumentiert: Der auf der Bühne erscheinende Lehár sagt nur Authentisches. In gut zweieinhalb Stunden läuft Lehárs Leben ab, als Rückschau in der Stunde des Todes. Der Cast umfasst nur drei Personen: Lehár selbst und zwei allegorische Figuren. Der Tod, der als blonder Jüngling in gereimter, entfernt an Hofmannsthal erinnernder Sprache spricht (samt einer „Jedermann“-Anspielung). Und die Musik, als sozusagen einzige wirkliche Geliebte des Komponisten.

Wer war dieser Meister der melancholisch grundierten Sinnlichkeit und betörenden Melodik? Ein braver Biedermann mit Abgründen? Durchaus auch ein geschäftstüchtiger Unternehmer? Ein um seine jüdische Frau zitternder, diese rettende, in Falle seiner Librettisten eher hilfloser Nazi-Mitläufer voll politischer Naivität? Hätte er nicht doch dem Freund und inspirierenden Jahrhunderttenor Richard Tauber in die Emigration folgen sollen? Tauber hielt ihm die Treue bis nach dem Krieg. Klaus Mann hat ihn verstanden. Der alte Mann, der bei der Frage nach dem in Auschwitz ermordeten Fritz Löhner-Beda zu weinen begann – davon existiert auch ein Rundfunkdokument – war ein Kind seiner Zeit und im Grunde ein Monarchie-Nostalgiker. Und ein Musiker, der wie wenige seiner Zunft die elementaren Gefühle der Liebe in zeitloser Größe mit Melodien und Klängen malen konnte. Puccini war sein Seelenverwandter. In Lehárs musikalischen Genen waren Mozart und Schubert und Johann Strauss und die alten Weisen und Tänze des europäischen Ostens voll Lebenslust, Trotz und Trauer, doch auch Tango und Jazziges hat er sich anverwandelt. Aber nach ein paar Takten seiner Musik weiß der entsprechend gebildete Mensch, dass sie von Lehár sind. Dies ist ein Geniezeichen.

Jenny W. Gregors Textmontage verursacht Nachdenken, erspart sich einseitige Urteile, zeigt einen suchenden, mitunter irrenden Menschen und dient der Hauptsache, also der Musik. Lehár residiert auf der Bühne an einem Tisch voller Partituren. Gegenüber befindet sich eine Bar, die vom Tod und von der Musik frequentiert wird – und von seinen leider wieder mit oft die Stimmen entstellenden Microports behafteten Figuren. Ursula Pfitzner, ganz wundersam etwa mit Friederikes Lied „Warum hast Du mich wachgeküsst...“, Anne-Fleur Werner, zum Beispiel mit Evas sehr opernhaftem Schluss-Monolog aus dem dritten Finale dieser Arbeiter-Operette, und Thomas Blondelle, eindrucksvoll mit Tauber-Falsett im Couplet „Schatz ich bitt dich, komm heut nacht..“ aus Frasquita und sehr achtbar bei „Dein  ist mein ganzes Herz“, trotzen der akustischen Misere. Der Tenor hat die heldischen Töne und die sterbende Sehnsucht für den dem Tod geweihten Soldaten in der Tondichtung Fieber (1916), die im Zentrum des Abends steht. Schön, dass dieser Abend keine „Schlagerparade“ ist, sondern auch viel Rares, selten Gespieltes bietet. So auch Ausschnitte aus den Operetten der mittleren Schaffenszeit, wie Die blaue Mazur und Clo Clo, in denen sich Lehár von einer annähernd offenbachischen, lustvoll parodistischen und frechen Seite zeigt, die doch im ganz ihm gehörenden Melos unverwechselbar bleibt. Stücke übrigens, die im letzten Jahrzehnt in Ischl und Baden ihre Frische erneut bewiesen haben. Und wenn es ans Sterben des vereinsamten Komponisten geht, dann kommen seine persönlichsten Bekenntnisse - „Immer nur lächeln“ und das nun von Thomas Blondelle konventionell interpretierte „Wolgalied“, welches tatsächlich 1948 beim Begräbnis Franz Lehárs in Bad Ischl gespielt wurde.  

Bilder: www.leharfestival.at

 

 

 

 

 

 

                                                                                       

 

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