Nack- aber behäbig

SOMMERSZENE / INGVARTSEN / TO COME (EXTENDED)                           

06/06/2018 Die türkis umhäuteten Figuren sind, dank Ankündigung und Plakat, schon vor der Aufführung in die Gehirnrinde eingeritzt. Die Verfremdung durch diese Hülle drängt sich als Assoziationsbasis auf, wenn die Truppe ihre Ausgangsposition einnimmt: Tableaus unterschiedlicher Stellungen zu einer großen Gruppensex-Szenerie - wie in Karikaturen und Installationen zu Zeiten der sexuellen Revolution.

Von Erhard Petzel

Zunächst wirkt das wie eine Aufwärmübung, wenn einzelne und Kleingruppen ihre Positionen verändern und damit allmählich neue Konstellationen entstehen. Doch aus den Posen entwickeln sich zunehmend Bewegung und dynamische Gestaltung des Raumes (aufgrund der Farbgebung eine für unseren Kanzler zu entdeckende Marketing-Chance). Die Stille über dieser Landschaft wird durch Schleif- und Schiebegeräusche der Körper zunehmend belebt. Die Gruppen schwingen im Geist eines gemeinsamen Atems. Dominiert zunächst lustvolle Egalität zwischen den eingeebneten Geschlechtern, baut sich ein Abu-Ghraib-(Zentralgefängnis in Bagdad)-Turm auf, worauf eine Klatschsequenz auf die knackigen Gesäßbacken ertönt.

Das ist aber nur ein Kurzabstecher zu Sadomaso. Ein Pas De Deux in Verschlungenheitsakrobatik ist ein choreografisches Element, wie sie von den 14 Ensemblemitgliedern in weiteren Konstellationen demonstriert wird. Denn Ballett ist das durchaus, wenn auch durch den Hintereingang. Wo sonst eine Geschichte über die erotische Ausdruckskraft des Körpers im Rhythmus der Musik zum Ausdruck kommt, büßt hier Sexualität als Geschichte heutiger soziologischer Parameter ihren Eros ein. Lacher aus dem Publikum können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier weniger unterhalten als seziert wird. Die Versuchsanordnung wandelt sich entsprechend mit dem Einsatz von Salsa-Lärm aus dem Lautsprecher, während sich die sechs Tänzer und acht Tänzerinnen im Dunkel des Bühnenrandes entblößen.

So nehmen sie Aufstellung auf weißer Bühne mit türkisem Hintergrundvorhang (im Falle einer politischen Aussage wahrscheinlich trotzdem ohne Österreich-Bezug). Als Nackt-Chor jaulen und stöhnen sie Koitus-Musik. Wenn DER Salsa wieder einsetzt, der sich später zum Bigband-Bounce von „Take The A-Train“ mausern wird, wird auf Teufel komm raus Lindy Hop getanzt, dass die Geschlechtsteile fliegen. Als Effekt ein großes Ritardando mit Dopplereffekt zum dumpfen Gewaber und retour. Das Publikum darf auch mitklatschen, bevor es dem begeisternden Ensemble begeisterten Beifall spenden wird.

Einerseits gut, dass Choreographinnen und Projektkünstlerinnen wie Mette Ingvartsen mit solchen Arbeiten heute keinen Skandal mehr auslösen müssen. Andrerseits verstörend, dass junge Leute pudelnackt herumhopsen, und es ist keine Pornographie. Es ist nicht einmal erotisch. Es ist wie eine Diskussion, die sich fallweise beinahe behäbig Zeit lässt: Und genau das - das „Diskursive“ - ist Ingvartsens „Ding“.

Sommerszene - bis 16. Juni - www.szene-salzburg.net
Bilder: SSZ / Mette Ingvartsen
Zum Gespräch mit Mette Invartsen
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