Die Atriden im Paternoster

REST DER WELT / WIEN / ELEKTRA

31/03/15 Uwe Eric Laufenberg, der Regisseur des Linzer „Ring“ und Intendant des Staatstheaters Wiesbaden, verortet die Handlung in einem dämmrigen Kohlenkeller, der durch zwei Paternoster mit dem herrschaftlichen Oben verbunden ist. Dort lebt die Herrin Klytämnestra mit Aegisth, im Keller ihre Tochter Elektra.

Von Oliver Schneider

Klytämestras eng anliegendes, schwarz-weisses, glitzerndes Kleid lässt ahnen, dass das Regieteam (Ausstattung: Rolf und Marianne Glittenberg) das blutige Drama in der Entstehungszeit angesiedelt hat. Im Programmheft heißt es, Handlungsort sei der Keller eines Wiener Palais. Entscheidend ist diese zusätzliche Information nicht; Laufenberg erzählt stringent genug, eigentlich zeitlos und über weite Strecken ohne Mätzchen. Dass am Schicksal Klytämnestras Blut klebt und symbolisch dafür jungen nackten Frauen zu Beginn des Abend Blut mit Wasser vom Körper abgespritzt wird, kann man verkraften.

Elektra, die in einen schwarzen Hosenanzug gekleidet optisch bereits als Aussenseiterin gebrandmarkt ist, beherrscht den Kellerraum. Ihr kann auch die Aufseherin keine Angst einflössen, die man sich gut ein Vierteljahrhundert später an einem weit grausameren Ort als Wächterin vorstellen kann. Elektra lebt nur noch für das Ziel, Agamemnons Tod zu rächen. Seine Uniform hat sie in einem Koffer als ständigem Begleiter aufbewahrt, in dem sie auch das Beil bereithält, mit dem Orest das Vatermörderpaar töten soll. Elektras Schwester Chrysothemis hingegen ist eine Lichtgestalt, sie will leben und lieben. Doch auch sie ist eine Atridentochter und damit in das dunkle Schicksal verstrickt: Als Zeichen für ihre daraus folgende körperliche Unversehrtheit hat Marianne Glittenberg ihr ein weisses Kommunionskleid und einen Haarreif verpasst, was sie als postpubertierende Frau erscheinen lässt.

Klytämnestra ist – trotz aller Eleganz – mit schütterem Haar eine von ihrem selbst zu verantwortenden Schicksal gezeichnete alte Frau. Der Mord an ihrem ersten Gatten kettet sie an Elektra und umgekehrt. Im zentralen Dialog „Ich habe keine guten Nächte“ sitzen sich zwei Frauen gegenüber, die eigentlich zueinander finden wollen, aber nicht wissen, wie sie das Vergangene ungeschehen machen sollen. In Wien sind es zwei Rollendebütantinnen: Nina Stemme und Anna Larsson. Mit ihrer an der Isolde und der Brünnhilde gestählten Stimme bringt die Stemme – als Rollendebütantin – das hochdramatische Fundament für die mörderische Partie mit. Hervorragend kontrolliert und fokussiert, mit strahlender Leuchtkraft und hoher Textverständlichkeit liefert sie eine Interpretation aus einem Guss. Ihr kann auch das 100-Frau/Mann-Orchester wenig entgegensetzen. Zu Recht jubelte das ganze Haus am Schluss des Premierenabends für sie. Für Anna Larssons erste Klytämnestra mischten sich ungerechterweise auch einige Buhs unter den kräftigen Applaus. Auch sie füllt die von ihrer Untat psychisch Verfolgte mit Fleisch und Blut aus. Man darf einfach nicht den Fehler machen und sie mit Rollenvorgängerinnen, die oftmals bereits im Spätsommer und Herbst ihrer Karriere standen, zu vergleichen.

Für die erkrankte Anne Schwanewilms sprang kurzfristig die rollenerprobte Ricarda Merbeth ein, die sich bestens in das Regiekonzept einfügte und stimmlich einen passenden Gegenpol zu Nina Stemme bildete. Falk Struckmann ist grossvolumiger, darstellerisch ein wenig zurückhaltender Orest. Norbert Ernst, der sich stimmlich immer mehr für grössere Aufgaben empfiehlt, spielt einen dandyhaften Aegisth, Wolfgang Bankl gibt den Pfleger des Orest mit gewohnter Zuverlässigkeit. Aus dem vielstimmigen und vielfarbigen Ensemble der Dienerinnen und Mägde ragen Donna Ellen als Aufseherin und Ildikó Raimondi als fünfte Magd hervor.

Mikko Franck am Pult des Staatsopernorchesters kassierte nach der knapp zweistündigen Aufführung einige Buhs. Ob es enttäuschte Welser Möst-Fans waren, der ursprünglich diese Neuproduktion hätte leiten sollen? Oder weil das Orchester von gewissen Plätzen des Zuschauerraums, wie häufig bei groß besetzten Werken im Haus am Ring, stellenweise zu laut erschien? Im heiklen hinteren Parterre hatte man den Eindruck jedenfalls nicht. Im Gegenteil, Franck und die wach folgenden Musiker lassen Strauss‘ „Opernsymphonie“ als düsteren, spannungsvollen Rausch erklingen, in dem auch Platz für Klarheit in den Orchesterstimmen und die Sänger ist. Einzig in der Erkennungsszene zwischen den Geschwistern lässt er die Dynamik-Zügel etwas gar zu locker.

Mehr Ablehnung als Zustimmung gab es schließlich für das Regieteam. Am intensiven, von großartigen Singschauspielern getragenen Kammerspiel lag es wohl nicht, eher am unnötigen Beginn. Und dem Schluss, wenn in den Paternostern blutüberströmte Puppen herauf- und heruntergefahren werden und die Atriden-Geschichte nachgestellt wird. Im Schlusstanz lässt Laufenberg überflüssigerweise dann noch junge Paare ausgelassen tanzen. Die Idee will nach dem Geschehenen nicht aufgehen.

Weitere Vorstellungen am 1., 4., 7., 11. und 16. April – www.wiener-staatsoper.at

Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn