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Es ist Krieg – und alle spielen verrückt

 

REST DER WELT / LINZ / 1914

01/09/14 Das wäre etwas auch für die Festspiele gewesen! Hier widmete man sich ja heuer im Schauspiel ausführlich dem Ersten Weltkrieg. In Linz zeigte nun der amerikanische Regisseur und Künstler Robert Wilson, was ihm zu diesem Thema eingefallen ist.

Von Jörn Florian Fuchs

Wilson, mittlerweile in Ehren ergrauter Mittsiebziger, lieferte zuletzt eher matte Reprisen seiner früheren Kunst, etwa bei Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ auf der Ruhrtriennale 2013. Man kennt ja die ständig wechselnden Lichtstimmungen, die nervös zuckenden, stilisierten, überschminkten Figuren mit abgespreizten Fingern zur Genüge. Doch mit dem Theaterprojekt „1914“, mit dem er im Linzer Landestheater zu Gast war, ist Wilson eine wirklich frische, unter die Haut gehende Arbeit gelungen.

Für das Prager Nationaltheater (in Kooperation mit Häusern in Bratislava und Budapest) schuf er „1914“ – eine ebenso unterhaltsame wie verstörende (Anti-)Kriegsrevue. Im Zentrum stehen Karl Kraus' „Die letzten Tage der Menschheit“ und Jaroslav Hašeks „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“. Intelligent verschränkt Wilson die Texte, verteilt sie auf verschiedene Akteure, lässt manches nur verlesen, anderes dagegen wird szenisch ausagiert.

Das vorzügliche Ensemble (herausragend die Sängerin und Schauspielerin Soňa Červená) ist Wilsons Stilisierungswahn komplett und peinlich genau erlegen. Der Wahnsinn hat hier freilich Methode. Da ist der (Geschäfts?)Mann, dessen Zylinder dampft, da sind die Kriegshuren mit Plastikbrüsten und versehrten Verehrern, eine Dame die entweder aus Lust oder Schmerz stöhnt (wer weiß das schon genau), eine Frau, die wie ein Pferd wiehert. Zu sehen sind kleine, klaustrophobe Räume, in denen sich Szenen häuslichen Irrsinns abspielen oder eine Stadtsilhouette aus Glühlämpchen oder auch nur die leere Bühne, auf der eine strenge Schwarz/Weiß-Optik herrscht, mit ein paar rötlichen Einsprengseln. Die verschachtelten Szenen werden häufig durch Knalls und Schüsse unterbrochen, bisweilen bricht dann auch mal eine Figur zusammen.

Während Soldat Schwejk als irrlichternder, leicht oberflächlicher Beckett-Kasper erscheint, sind Karl Krausens Optimist und nörgelnder Pessimist brillante Tiefschürfer von Gedanken und Emotionen. Im Graben sitzt eine exzellente Combo und sorgt für Baratmosphäre, hinzu kommt reichlich Blasmusik sowie (als Zuspielungen) Geräusche, Märsche, allerhand militärisch Klingelndes. Zeitweise wird das tschechische Sprach- und Sprechfeuerwerk durch deutsche oder auch französische Passagen ergänzt. Das Entscheidende ist jedoch die genaue Mischung: Wilson koppelt abgrundtief Böses, Zynisches mit warmherzigen Momenten voller Witz und Zartheit. Oft reichen ein paar Gesten und wenige Worte, um die ganze Grausamkeit etwa des Gaskrieges zu zeigen.

Das einschlägige Langatmigkeitsproblem vieler Wilson-Stücke gibt es hier fast gar nicht, wenn sich eine Situation erneut abspielt, macht es Sinn, das schon Ges(ch)ehene wird vertieft, manchmal auch variiert. Der ständige Wechsel von Ernst und Komik strengt allerdings zunehmend an, was ein paar Zuschauer zur Flucht veranlasste. Dennoch sind diese pausenlosen 105 Minuten wirklich gut investierte Lebenszeit. Erfreulich ist zudem, dass Wilson die Linzer Proben offenbar selbst geleitet oder zumindest begleitet hat. Dadurch entsteht eben jene Präzision, die vielen seiner um die Welt tourenden Arbeiten fehlt. Dass das Linzer Landestheater „1914“ im Rahmen seines Sommerprogramms eingeladen hat, ist ein wahrer Coup, nicht nur, aber auch im Hinblick auf die gerade abgelaufenen Salzburger Festspiele.

Bilder: Nationaltheater Prag

 

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