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Explosive Düsternis

REST DER WELT / STAATSOPER / MEDEA

08/03/10 Nein, es steht nicht „Carmen“ mit Stars oder Lieblingen der Wiener Opernfans auf dem Programm, sondern Aribert Reimanns Auftragswerk „Medea“. Und obwohl Reimanns Werk alles andere als leicht zugänglich ist und keine Kulinarik verspricht, suchen viele Interessierte verzweifelt Karten im Foyer des Hauses am Ring.

Von Oliver Schneider

altReimann hat auch für seine achte Literaturoper wie bei „Das Schloss“ und „Bernarda Albas Haus“ das Libretto selbst verfasst. Grundlage dafür bildete die Medea-Fassung von Grillparzer. Düster-dramatisch und beklemmend, dass einem immer wieder der Atem stockt, ist das vorherrschende Klangbild, mit dem die unaufhörlich auf die Katastrophe zusteuernden Geschehnisse in Theben illustriert werden: Bis an die Schmerzgrenze geht Reimann und lässt Medea anspruchvollste Koloraturen bewältigen. Auch Kreusa ist diesbezüglich gefordert, bringt aber immerhin mit der sie kennzeichnenden Harfe und der Celesta eine Spur naive Heiterkeit in die musikalische Düsternis des Werks ein. Doch die kantablen Momente sind rar und kurz. Was diese vorherrschende Schroffheit so packend macht, sind die Konzentration Reimanns auf die von Extremen gezeichnete Vokallinie und damit auf die Protagonisten sowie die instrumentale Transparenz.

Michael Boder bringt seine grosse Erfahrung mit zeitgenössischer Musik ein, um am Pult des exzellenten Staatsopernorchesters die explosive Stimmung vom ersten bis zum letzten Takt hörbar zu machen. Das Musiktheater-Glück perfekt macht die Inszenierung des Schweizer Regisseurs Marco Arturo Marelli. Wenige, symbolkräftige Bilder und eine starke Personenzeichnung reichen aus, um diesen musikalisch hoch konzentrierten Abend zum bisherigen Höhepunkt in der letzten Holender-Saison zu machen. Marellis Theben ist eine graue Geröllhalde, in der die farbigen Gewänder der Kolcherin Medea und ihrer Dienerin Gora die einzigen Farbtupfer bilden, aber auch für die Fremdheit der Beiden unter den weiss gewandeten Griechen stehen (Kostüme: Dagmar Niefind).

altÜber dieser Halde schwebt Kreons Palast in Form einer modernen gläsernen Büro-Chefetage, wohin der Ehrgeizling Jason so schnell wie möglich aufsteigen will. Medea, die er einst vielleicht geliebt hat, ist ihm heute auf dem Weg nur noch eine Bürde, der er sich so schnell wie möglich entledigen will.

Wenn Medea die Aussichtslosigkeit ihres Schicksals erkennt, hebt sich der hintere Teil der Bühne, und die Gesteinsbrocken poltern mit grossem Getöse nach vorne. Alle scheinbare Schuld entlädt sich über Medea. Marelli ist es gelungen, die psychischen Ausnahmesituationen der fünf zentralen Protagonisten konzentriert auf die Bühne zu bringen, ohne dass überflüssiges Beiwerk von der zentralen, allgemein gültigen Aussagekraft ablenkt. Da ist es nur logisch, dass das Publikum die Aufführung stürmt.

Reimann hat sein Oeuvre für eine Uraufführungsbesetzung komponiert, die dem perfekten Gesamteindruck nur noch das sprichwörtliche i-Tüpfelchen aufsetzen muss. An erster Stelle ist selbstverständlich Marlis Petersen als grandiose Medea zu nennen, die auch die vertracktesten Koloraturen und Sprüngen mühelos bewältigt. Ganz zu schweigen von ihrer szenischen Präsenz, mit der sie den Zuschauer zwischen Abscheu und Mitleid hin und her reisst. Adrian Eröd hat sich nach dem Prospero in Thomas Adès „The Tempest“ mit dem Jason eine weitere zeitgenössische Partie erarbeitet, mit der er seine Vielseitigkeit beweist: Sein Jason ist ein eiskalter Machtmensch, der sein traditionelles Kolchergewand nicht rasch genug gegen einen weissen Zweireiher eintauschen kann. Musikalisch gefällt vor allem mit seine männlichen satten Farbe und der vorbildlichen Textverständlichkeit. Michaela Selinger ist die unbedarfte Königstochter, die Jason die Steigbügel zum Königsthron halten soll. Stimmlich meistert sie genauso wie Elisabeth Kulman als Medeas Dienerin Gora die hohen Anforderungen ihrer Partie mit Bravour. Anstelle des erkrankten Counters Max Emanuel Cencic übernahm Tim Severloh am Samstagabend die Rolle des von Marelli geisterähnlich gezeichneten Herolds, der Medea und Jason ihre Verfluchung wegen des Mordes an Jasons Onkel Pelias verkündet. Zwar sang er nur vom Blatt am rechten Bühnenrand, während ein Statist agierte, war aber gleichwohl keine Notlösung. Denn Severloh wird die Rolle auch beim Koproduktionspartner in Frankfurt übernehmen. Entsprechend bildete er mit seiner tragenden, vollen Stimme einen würdigen Ersatz für Cencic. Michael Roider ist schliesslich ein ebenso wie Jason machtbesessener Kreon, den er mit seinem markanten Charaktertenor ausstattet.

Nächste Vorstellungen in der Staatsoper: 9. und 12. März sowie im November, Restkarten für die Märzvorstellungen und Informationen: www.staatsoper.at, Telefon: 01 513 1 513.
Bilder: Wiener Staatsoper GmbH / Axel Zeininger

 

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