Ausbüchsen über vielspurige Wort-Autobahnen

REST DER WELT / GRAZ / KEIN LICHT

03/09/13 Was ein GAU, ein Super-GAU gar, hat eine lange Halbwertszeit. Dieser Tage erst ist Fukushima wieder in die Schlagzeilen geraten, die wahren Gefahren lauerten, verstrahltes Kühlwasser gerate in Mengen ins Meer.

Von Reinhard Kriechbaum

Vielleicht dräuen die echten Katastrophen erst. Durchaus denkbar, dass Elfriede Jelinek also demnächst aufs Neue eine Schleuse öffnet und einen Schwall mit kontaminierten Denk-Worten loslässt.

Sie dichtet ja weiter an ihrer Fukushima-Parabel „Kein Licht“, und zur Lage der Menschheit hat sie sowieso immer was Essentielles zu sagen. „Da muß etwas in großer Menge austreten gehen, aber wir merken nicht, wohin es sein Wasser abschlägt“, heißt es einmal in "Kein Licht". Die fürwahr hochmusikalische Hör- und Schaufassung des Ensembles dramagraz in der Regie von Ernst Marianne Binder ist in diesem Sinn Österreichische Erstaufführung einer erweiterten Fassung. Es wird die letzte nicht bleiben.

Fünf Frauen in beige-farblosen Gewändern liegen da, auf spiegelnder Oberfläche. Ein Mann mit schwarzer Brille – Teirersias, der blinde Seher – wird bald ein aufgebocktes Fahrrad besteigen und mit dem Dynamo ganz wenig Helligkeit produzieren, wo kein Licht mehr ist (ein fast frech-banales Bild).

Doch vor allem sind da keine Töne mehr. Worüber man eigentlich nicht mehr reden kann, muss man sprechen (lassen), wenn man Dichterin ist. Worüber es nichts, nichts mehr zu sagen gibt, wenigstens reden? Reden, sprechen, sagen, aussagen gar? „Kein Licht“, und was an diesem als ziemlich reichhaltig empfundenen Abend um diese „Sprechoper“ gruppiert ist, kann man als einen Versuch des Ausbüchsens aus der Sprachlosigkeit über vielspurige Wort-Autobahnen beschreiben.

In „Kein Licht“ hat das Richtung und Energie. Die Erste Geige, deren Töne sich im Wortsinn in Luft aufgelöst haben, im Un-Raum verschollen sind, wird akkompagniert von der Zweiten Geige, die von sich sagt, sie sei „nur die Begleitung, aber von welchem Ereignis?“ Herrlich vage bleibt dieser Ereignis-Kern in „Kein Licht“, imaginiert Raum . Assoziationskettenreaktion. Für die Kunst brennende Brennstäbe. Durchgeknallte schnelle Brüter fauler Eier. Die Wort-Jongleurin Jelinek im Morgentraining nach der nuklearen Nacht. Oder beim artistischen Chill out nach der nuklearen Mittagshitze.

Die konkrete Textverteilung ist Sache des Regisseurs, hier sind es also fünf junge Damen. Besonders stark sind sie, wenn sie auf Unisono machen. Das ist dann ein Chor, tonlich wundersam synchron und präzis. Aber jede der Frauen ist in ihrer Gestik und Mimik individuell wie nur. Lauter brillant satzquirlende Eigenbrötlerinnen, die alle schicksalshaft zusammengezwungen sind in bange Erwartungen und unscharfe Mutmaßungen. Da könnte einem zur österreichischen Dramatikerin der österreichische Symphoniker Franz Schubert einfallen, bei dem die heitersten Tanzmelodien beständig in Moll-Abgründe purzeln. Zwielichtig.Vielschichtig. Beängstigend und doch irgendwie heiter.

Der „Dom im Berg“ als Spielstätte. Man darf sich keine Naturkathedrale drunter vorstellen. Die Felshalle ist eine Event-Location im Luftschutz-Stollensystem unter dem Schlossberg (fast exakt unter dem Uhrturm). Das könnte ein metaphorischer Ort sein, leichte Gänsehaut verursachen. Aber der Raum spielt trotzdem als solcher nicht mit, die Produktion ist auf Übertragbarkeit justiert (wird am 14./15.9. beim Musikfestival Bern, ab 24.9. im KosmosTheater Wien zu sehen sein).

Der Regisseur und Leiter des dramagraz, Ernst Marianne Binder hat es, als er in den Neunzigern am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, wiederholt zu überregionaler Aufmerksamkeit gebrtacht. Die verdient(e) er immer noch. Dem literarischen Theater hat er sich und sein Unternehmen verschrieben, die „Ehrfurcht vor dem gesprochenen Wort“ quasi in die Statuten gegossen. Vielleicht deshalb gruppiert Binder zwei Riesenmonologe vor und hinter die abgründige Burleske, das musikalische Katastrophen-Rüpelspiel. Da ist zuerst die Jelinek selbst, als Stimme aus dem Off. Gerade weil sie sich selbst so ganz und gar nicht lesen kann, ist die Eloge auf Reden und Sprechen, auf Quasseln und Aus-Sagen müssen, ein wenig entlarvend. Wir wollen der Literaturnobelpreisträgerin ja nicht zu nahe treten – aber vielleicht überschätzt sie gelegentlich die Dauer-Not zur eigenen (Ent)Äußerung.

Der zweiten Monolog des Abends nach der vom Regisseur angesagten, etwas überraschenden Pause (man wähnte die Sache abgeschlossen) ist Klage – Anklage und Lamento. Libgard Schwarz ist „Eine Trauernde“. Auf dem Wasser suggerierenden Spiegelgrund ist jetzt eine Inselfläche abgegrenzt, Steine liegen da. Die sammelt die unattraktiv gekleidete Frau mit einer Tortenzange, bildet einen kleinen Grabhügel, zündet eine Kerze drauf an. Da ist die Katastrophe, das gemachte Unglück ganz konkret das Thema. Wer übernimmt Verantwortung, oder eben nicht? Der Monolog nimmt tendenziell Thomas-Bernhard'sche Dimensionen an (auch was die Selbstironie, die Distanziertheit zur eigenen Person anlangt). Vielleicht, weil die Schauspielerin denn doch nicht ganz das Format hat für so etwas - und sich Ausstrahlung erst nach und nach einstellen will - wirkt die Sache zäh.

Und wieder an die Adresse der Autorin: Der Hang zum artifiziellen Zitat-, Metaphern- und Wortspiel lässt einen drüber nachdenken, ob gutes Gewand nicht doch nach Stoff verlangt und nicht bloß nach zusammengenähten Marken-Etiketten.

Aufführungen in Graz bis 6.9., am 14./15.9. beim Musikfestival Bern, von 24.9. bis 5.10. im KosmosTheater Wien - dramagraz.mur.at
Bilder: dramagraz
Zur Besprechung der Aufführung von "Kein Licht" im Schauspielhaus Salzburg
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