Im Schmetterlingsnetz des Imperialismus

OPER GRAZ / MADAMA BUTTERFLY

28/10/22 Was wurde aus dem Buben von Butterfly und Pinkerton? Puccinis Japanische Tragödie, ein Höhepunkt der Frauenverachtung in der Operngeschichte, gipfelt in der brutalen Kindes-Entführung durch den Vater und dessen amerikanischer Ehefrau. Die entehrte Butterfly bringt sich um. Was bleibt ihr auch anderes übrig. Aber was wurde aus dem Buben?

Von Heidemarie Klabacher

Diese Frage stellt die Inszenierung von Giacomo Puccinis Madama Butterfly durch Floris Visser an der Oper Graz: In einer rundum klugen Lesart als ein behutsam „analytisch“ angelegtes Erinnerungsspiel macht Familie Pinkerton mit dem fast erwachsenen Sohn eine Japanreise...

Man begegnet den „typischen“ Amerikanern, die Kostüme von Jon Morrell verweisen unaufdringlich auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Volkskundemuseum von Nagasaki: Bühnenbildner Gideon Davey stellt in einen rein europäisch anmutenden Ausstellungraum Vitrinen mit „typischen“ Artefakten: Samurai-Rüstung. Götterstatue. Prachtkimono. Schwerter.

In diesem sterilen hochkulturellen Setting trifft sowohl Pinkerton, als auch dessen Sohn, die Erinnerung mit verstörenden Blitzen aus heiterem Himmel. Die „Museumsstücke“ gehören wieder zu Menschen aus Fleisch und Blut. Der Kimono war Butterflys Hochzeitsgewand... Cio-Cio-Sans Häuschen wird imaginiert, indem die Wände der Kunsthalle näher rücken, das Setting intimer wird. Vor Pinkertons innerem Auge zieht die gesamte Geschichte seines Betrugs an der jugendlichen Butterfly vorüber. Alles ist da, auch das Schwert, mit dem sich schon Butterflys Vater einst auf Aufforderung durch den Mikado selbst erstochen hat. Von den Schwertern angezogen ist auch der japanisch-amerikanische Sohn. Er wurde als kaum Dreijähriger von der Mutter und deren Kultur getrennt. Wenn mit diffus aufsteigenden Erinnerungen auch der Hass auf den Vater wächst, meint man gar Zeuge einer Psychoanalyse zu sein. Stephan Offenbacher gibt in der stummen Rolle als „Sohn“, eine beeindruckende Performance. Hervorragende Personen-Führung und -Entwicklung zeichnet die Regie von Floris Visser aus.

Gábor Káli am Pult der Grazer Philharmoniker legt den Solisten eine präzise, tendenziell eher laute und handfeste Orchesterbasis, der aber genug Luft und Licht und Transparenz eigenen, um Puccinis „fernöstlichen“ Motiven Raum zur Entfaltung zu geben. Marjukka Tepponen in der Titelrolle gibt ein bewegendes Porträt einer Cio-Cio-San als Kämpferin mit viel stimmlichem Potential zum delikaten Klagen. Mykhailo Malafii ist darstellerisch ein beinah hausbackener F. B. Pinkerton, stimmlich-klanglich eher eindimensional, aber immer souverän auch in den Höhen seiner Partie. Herausragend ist die Suzuki von Mareike Jankowski. Edelste Töne verströmt Neven Crnić als Sharpless. – Eine zeitlos-moderne Butterfly, die Fragen kultureller Vereinnahmung, Imperialismus, Eurozentrismus oder Frauenverachtung subtil in den Raum stellt, ohne diese zum Schaden des Werks Tode zu reiten.

Madama Butterfly – Aufführungen in der Oper Graz bis 18. Jänner – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch