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Nur Platzpatronen für den Ungeist

GRAZ / DER GROSSE DIKTATOR

24/05/21 Der Schlussmonolog aus Charlie Chaplins Film Der große Diktator, dieser Brandrede für Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit: Kann man das achtzig Jahre nach der Premiere so stehen lassen, mit der Erfahrung von wieder aufkeimendem Antisemitismus, Nationalismus und von populistischer Verführung?

Von Reinhard Kriechbaum

Kann man natürlich nicht, und die junge Regisseurin Clara Weyde hat sich auch etwas anderes ausgedacht für's Grazer Schauspielhaus, wo man Chaplins Film als Theaterstück zeigt.

Da ist also der jüdische Friseur mit dem Leben davongekommen, weil man ihn mit dem Diktator Anton Hynkel verwechselt hat. Und nun soll er, muss er als Doppelgänger eine große Rede halten. Im Film steht er alleine da. Hier umzingelt ihn – Parallelen zu heutigen Politikerauftritten wohl erwünscht – der gesamte Beraterstab. Diese Leute platzen mit ihren Einsagereien in die humanistische, philantropische Botschaft, mit dem Schlagwort-Arsenal heutiger Demagogen. Da fällt das Menschlichkeitsplädoyer deutlich kürzer aus. Der (falsche) Diktator zieht die Pistole – allein es sind Platzpatronen. Der Ungeist lässt sich nicht einfach wegballern. Dann hält er die Pistole an die eigene Schläfe. Echte Patrone, blöd gelaufen, es trifft immer die Falschen.

Wie kann man heute Chaplins ersten Tonfilm, dieser krassen Parodie auf Hitler und den Nationalsozialismus, einordnen? Wernn man seinen autobiographischen Aussagen Glauben schenkt, war's ihm selbst im nachhinein ein bisserl peinlich. 1939/40, da hatte Chaplin zwar Bilder des von manchen damals noch als „großen Clown“ angesehenen Hitler vor sich, aber bestenfalls eine blasse Ahnung, wie es in den KZs wirklich zuging. Hellsichtig sah er freilich den Weltenbrand voraus, legendär die Szene, in der Anton Hinkel alias Hitler die Weltkugel als großen Luftballon zerplatzen lässt. Die Dreharbeiten begannen acht Tage, nachdem Hitler in Polen einmarschiert war. Bei der New Yorker Filmpremiere am 15. Oktober 1940 waren die Beneluxländer und Paris besetzt. Ob die USA gegen Hitler in den Krieg ziehen werde, war da noch nicht ausgemachte Sache.

Ein durchwachsenes zeitgeschichtliches Dokument also. Und durchwachsen ist eine Theaterversion notgedrungen auch aus einem anderen Grund. Freilich rechnet Der große Diktator zum historisch-cineastischen Basiswissen – aber darf man davon ausgehen, dass eine Mehrheit im Publikum mehr davon kennt als ein paar Szenenausschnitte?

Regisseurin Clara Weyde und ihre Dramaturgin Franziska Betz liefern kein bloßes Bühnen-Remake. Als Rahmenhandlung haben sie zwei Chaplin-Imitatoren eingebracht, die wir in der ersten Szene am Grab des Filmkomikers kennen lernen. Die beiden haben sich und ihre Berufung überlebt, der Chaplin/Hitler-Bart hat einen langen ebensolchen. Irgendwie geraten sie bei ihrem eifersüchtelnden Diskurs hinein in die Handlung. Anna Bergemann hat ihnen ein oft bewegtes Drehbühnenbild aus verschachtelten Podesten mit Durchgängen, zur Rutsche taugenden schrägen Flächen und Treppen gebaut. Da hat der „Diktator“ ausreichend Platz zu zappeln, da ist nicht nur im ersten Kriegsbild viel Action mit wenig Personal möglich. Und wenn dann die Nazi-Häscher hinter dem jüdischen Friseur her sind...

Dem Filmoriginal entsprechend wird dem Slapstic ausgiebig gehuldigt. Vielleicht hat die Regisseurin zusätzlich auch ein bisserl zu viel Monty Python geschaut. Das ermüdet auch. Hinter all dem Klamauk kann man nämlich auch recht gut verstecken, dass es in dieser version mit aktuellen Bezügen oder Anspielungen so weit nicht her ist. Die werden eher subkutan verabreicht, mehr Mut und mehr Ideen wären gut denkbar gewesen. Das Nazi-Figurenwerk wird gehörig überzeichnet und schematisiert. Eine gewisse Humor-Robustheit wird beim Publikum vorausgesetzt.

Der große Diktator: Das ist die einmal mehr fulminante Julia Gräfner. Auf sie ist im Grazer Ensemble immer Verlass, wenn es gilt, eine Klischeefigur vertraut erscheinen zu lassen und das Klischee auch gleich wieder aufzubrechen. Ihren Hitler-Bart pickt sie gleich zu Beginn auf Chaplins Grabstein. Schade, dass aus der Doppelrolle nichts wurde (im Film spielt Chaplin ja sowohl den Diktator als auch den jüdischen Friseur). Den gibt in Graz Alexej Lochmann, als Gegenspieler und Quasi-Spiegelbild ist auch er einprägsam und individuell.

Charlie Chaplin war ein großer Spötter, auch was die Namen im „Hofstaat“ des Diktators angeht. Hertha Stahl, die „Reichsfilmbildgestalterin“ (Evamaria Salcher) - da ist „Kollegin“ Leni Riefenstahl ordentlich veräppelt. Clemens Maria Riegler als Feldmarschall Herring trägt die Brust voller Orden und macht nur wenig tollpatschigere Figur als der „Diktator“ selbst . Propagandaminister Garbitsch (Nico Link) hält sich dezent zurück, ist aber allgegenwärtig. Die Büffet-Schlacht in Wort und Tat zwischen Diktator und Mussolini-Verschnitt Benzino Napaloni (Mario Fuchs) hat freilich Witz und Action. Aber es bleiben eben in dieser Theaterversion viele Möglichkeiten zur Aktualisierung ungenutzt.

Der große Diktator, Aufführungen bis 5. Juni – www.schauspielhaus-graz.at
Bilder: Bühnen Graz / Karelly_Lamprecht

 

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