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Bummelzug der Abgehängten

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / SCHWARZE MILCH

22/01/19 Es gibt Menschen, die Eskimos Kühlschränke verkaufen. Schúra und Ljówtschik versuchen es mit Toastern. In einem Kaff in der russischen Provinz, wo man nicht mal von Moskau träumt, sondern von Jekatarinburg. Toastbrot wird’s dort noch länger nicht geben...

Von Reinhard Kriechbaum

Der russische Autor Wassilij Sigarew lebt in Jekatarinburg. Das ist von Moskau fast gleich weit weg wie Wien. Dort weiß man, was Provinz heißt, und man weiß, wo und wie die wahren Verlierer der modernen Welt leben. An einer Bahnstation, wo Schnellzüge nicht halten, sondern „noch extra Gas geben“ spielt sein Stück Schwarze Milch, als Österreichische Erstaufführung zu sehen in Graz.

An diesem Un-Ort sind selbst jene, die vermeintlich erfolgreich Kleinhandel betreiben und die Dörfler listig übers Ohr hauen, in Wirklichkeit auf der Verliererstraße unterwegs. Selbst der Bummelzug der Abgehängten lässt Stunden auf sich warten, und so überraschen die Geburtswehen Schúra im Warteraum.

Was für eine Personnage in einem Stück, das zwischen Groteske und Psychodrama pendelt. Der alerte Ljówtschik (Lukas Walcher) behandelt seine schwangere Freundin Schúra (Maximiliane Haß) wie einen Klotz am Bein, aber was wären die beiden schon ohne einander? Auch sie schenkt ihm nichts. Die Fahrkartenverkäuferin (Sarah Zaharanski) hält sich mit illegalem Wodka-Verkauf über Wasser, ein dankbares Geschäftsfeld im Dorf. Petrówna und Tante Páscha (Beatrix Doderer in einer Doppelrolle) stehen für jenen Typ Mensch, der das Herz am rechten Fleck hat. Arm, aber herzlich? Die Grenzen zur Psychose sind fließend.

Ein wahrer Philosoph im Kleinen ist der betrunkene Mann, der den Ort der Desperados so beschreibt: „Da sind wir mittendrin. Im Epizentrum. Wo alles völlig und ganz anders ist. So anders, dass man schreien möchte, heulen, brüllen.“ Er sagt es mit ganz leiser Stimme, und das past gut, weil die Schreie der wahren Wohlstandsverlierer ja auch diesseits der Theaterbühne nur ganz schwach hörbar sind hinter der üppigen Geräuschkulisse jener, die sich für solche halten.

Bis 21. März im Schauspielhaus Graz, Haus Zwei – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lex Karelly

 

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