Und wenn sie nicht gestorben sind...

OPER GRAZ / DIE KÖNIGSKINDER

23/12/19 … dann leben sie noch heute? Von wegen. Die Königskinder in der gleichnamigen Oper von Engelbert Humperdinck sterben, bevor sie überhaupt gelebt haben. Die reiche Stadt sucht zwar einen König oder eine Königin. Doch die satten Bürger erkennen in der Gänsemagd, als sie zur verheißenen Stunde durchs Tor kommt, keine Königin. Der Schweinehirt ist auch kein überzeugender Thronanwärter.

Von Heidemarie Klabacher

Die Gänsemagd wurde von der Hexe, vielleicht handelt es sich ja tatsächlich um die Großmutter, von der Welt abgeschirmt aufgezogen, trifft den Königssohn (der in der Gänsemagd alsbald eine Königstochter erkennt) und ermächtigt sich selber, den Bann der Hexe zu brechen. Die Königskinder stürmen los, die Welt und einen Thron zu erorbern... Der Beginn der Oper ist wie aus dem Musterbuch des Märchenerzählers. Und ein rotgoldener Herbstwald ist in der Oper Graz das strahlende Bühnenbild zum ersten Akt. Doch bald wird es tiefschwarz im Libretto der vergessenen Theaterdichterin Elsa Bernstein-Porges und immer kälter auf der in der Grazer Oper von Volker Thiele virtuos leer geräumten Bühne.

Von Engelbert Humperdinck kennt die Opernwelt vor allem Hänsel und Gretel. Die Königskinder führen, ganz zu unrecht, ein Schattendasein. In Österreich sind sie 1939, auch damals in Graz, zuletzt aufgeführt worden.

Die Wagner-Bezüge der Königskinder sind manigfaltig und gar nicht zufällig, immerhin war Engelbert Humperdinck Assistent Richard Wagners in Bayreuth. In den Königskindern erinnern Harmonik und Instrumentation (Bläser!), aber auch inhaltliche Motive und Sprachbehandlung an das Vorbild. Die Librettistin Elsa Bernstein-Porges stab-reimt allerdings nur selten. Die symbolistischen Sprachbilder sind denen eines Maurice Maeterlinck durchaus ebenbürtig. Auch Humperdinck selber ist mehr als ein reiner Epigone: Das Grazer Philharmonische Orchester unter der Leitung von Marius Burkert gestaltet die opulente Partitur mit so kräftigen wie differenziert ausgespielten Farben: Der Orchesterpart entwickelt einen Sog, dem sich der Zuhörer vom ersten Aufstrahlen der Sonne und vom ersten Schnattern der Gänse an nicht mehr entziehen will.

Gänse also. Bei der Urauffühung der Opernfassung (es gibt auch ein Melodram) der Königskinder am 28. Dezember 1910 in der New Yorker Met watschelten hinter Geraldine Farrar echte Gänse her, die die Sopranistin a la Konrad Lorenz erfolgreich auf sich selbst konditioniert hatte. Sieglinde Feldhofer hat achtzig Jahre später in der Oper Graz nur Plüschtiere zu hüten. Die Sopranistin gibt darstellerisch eine überzeugend temperamentvolle Jugendliche und stimmlich eine betörend facettenreich gestaltende in allen Lagen strahlend und souverän aussingende Gänsemagd. Wenn sie, kurz vor dem Hunger- und Kältetod, den Geliebten anfleht „König, verkaufe deine Krone nicht“, wollen Atem und Herz stehen bleiben.

Sieglinde Feldhofer ist in der besuchten zweiten Aufführung kurzfristig für die erkrankte Polina Pastirchak mit einem ungeplant frühen Rollendebüt einesprungen. Eine überwältigend präsente technisch souveräne Darstellerin und Sängerin.

Nur zur Hexe taugt sie nicht: „Die Nacht ist schön, wenn auf mondbleichen Höhn von giftiger Milch die Kräuter schwellen. Und du liebst Sonne und wehenden Wind! All Nöten und Mühn schafft aus dir kein Hexenkind “, giftet die Großmutter-Hexe sie an. Das Mädchen hat grad einen Brotlaib mit allen guten Wünschen belegt. Dem Unfug macht Christina Baader als deutlich mächtigere Hexe sofort ein Ende: Wer auch nur die Hälfte des Brotes ist, wird daran sterben...

Und da kommt er auch schon. Herumtollend wie Jung Siegfried, vor Kraft und Übermut berstend, auch von Vogel-Gezwitscher begleitet, stürmt der Jüngling daher, macht das Mädchen alsbald zu seiner Geliebten und zu seiner Königin. Das Krönchen, das der vagierende Königssohn als einziges Zeichen seiner Herkunft bei sich hat, wird Unterpfand dieser Liebe.

Maximilian Schmitt gibt den jugendlichen Königssohn mit bewegender darstellerischer Unbeschwertheit und betörender stimmlicher Strahl- und Gestaltungskraft. Besonders im zweiten Teil, in dem die Melodien noch raumgreifender und die Harmonien noch reicher werden, zeigt Maximilian Schmitt alle Qualitäten eines Helden, der in allen Lagen der weichen gerundeten Linie ebenso Herr ist, wie der zupackenden Attacke. Auch er überzeugt sängerisch wie darstellerisch. Regisseur Frank Hilbrich setzt diesen hervorragend besetzten Protagonisten kein „Konzept“ auf, sondern setzt gestaltend und differenziert auf deren reiche Qualitäten. Das gilt auch für die kleineren Rollen, allen voran für Markus Butter als Spielmann: Er ist der überschlanke Out-Law unter den karikaturenhaft fetten Bürgerinnen und Bürgern. Der einzige Erwachsene, der die beiden streunenden Jugendlichen als Königskinder erkennt.

Das taten von ersten Augenblick an die Kinder der Stadt, die von Andrea Fournier geleitete Singschul' der Oper Graz. Sie machen nach der Vertreibung der Königskinder den Erwachsenen das Leben schwer, bestehen darauf, die Verjagten in der Winterskälte zu suchen.

Der Moment, von dem es kein zurück mehr gibt, gehört einem Kind: Victoria Legat singt staunenswert klar und sicher Besenbinders Töchterlein, eine anspruchsvolle Kinderrolle, die zahlreiche Dialoge und am Ende ein verzweifeltes Aufbegehren enthält. Nach der gewaltsamen Vertreibung der Königskinder bleibt sie allein zurück auf leerer Bühne und singt: „Das waren der König und seine Frau...“

Königskinder - weitere Aufführungen in der Oper Graz bis 18. März - www.oper-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch