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… wacht auf und ist eine Frau...

WIEN / STAATSOPER / ORLANDO

10/12/19 Mit dem Opern-Auftrag an Olga Neuwirth stößt der scheidende Direktor Dominique Meyer wieder in jene Liga vor, in der ein Haus wie die Wiener Staatsoper ständig spielen müsste. Olga Neuwirths Orlando ist ein alle Sinne forderndes und die Gattung sprengendes Spektakel.

Von Oliver Schneider

Der junge Aristokrat Orlando macht am Hof der betagten Elizabeth I. Karriere und sorgt für Furore. Ein Dasein als Höfling? Eines Tages erwacht Orlando zu seinem nicht geringen Befremden als Frau und muss sich mit den Nachteilen des weiblichen Existierens arrangieren...

Kate Lindsey ist ein(e) bühnenbeherrschende(r) Orlando, die mit allen Mitteln um ihre Anerkennung kämpft. Auch der Rest des trotz Mehrfachrollen riesigen Ensembles macht seine Sache hervorragend, auch schauspielerisch und das bei großen stimmlichen Anforderungen. Das Staatsopern- und das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper mit drei Schlagzeuggruppen, eine Jazzband mit dem stimmlich samtigen Transgender-Künstler Justin Vivian Bond werden von Matthias Pintscher kongenial durch die analogen und elektronischen Live-Klangwelten Neuwirths geführt.

Harmonische Linien stehen neben seriellen Klängen oder überlagern diese ohne als Fremdkörper zu wirken. Madrigale in der Elizabeth-Szene werden genauso selbstverständlich zitiert wie virtuose italienische Barockarien oder moderne Kirchenmusik. Und im Heute angekommen, unternimmt Neuwirths Orlando schließlich einen Ausflug mit Justin Vivian Bond in den Jazz, was in diesem Kaleidoskop auch ganz natürlich wirkt.

Ebenso kongenial der gleichzeitige Einsatz von klassischem Sinfonieorchester mit tiefer gestimmten zweiten Geigen, Synthesizern und E-Gitarre. Die sinfonischen und die elektronisch verfremdeten Klänge sind nicht immer leicht voneinander zu unterscheiden sind, weil sich die Strukturen netzartig überlagern.

Ausgehend von Virgina Woolfs zentraler Roman-Biografie Orlando, hat die Komponisten Olga Neuwirth gemeinsam mit Catherine Filloux das Libretto geschrieben und die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts endende Zeitreise Orlandos bis ins Heute weitergesponnen. Regisseurin Polly Graham erzählt diese Reise in nachvollziehbar, oft überzeichnenden Bildstrecken stringent nach.

Zumindest von der Bühne her ist die Produktion weniger aufwändig als sie scheint, denn die rasch wechselnden Szenenbilder werden fast nur auf eine Leinwand im Bühnenhintergrund und sechs verschiebbare Wände projiziert. Hier ziehen eingemummte Eisläufer auf der zugefrorenen Themse 1610 ihre Kreise (ein betörende Szene im Roman), bringt eine Eiche in der weiten Landschaft Ruhe fürs Auge, sieht man Kriegsbilder mit Granateneinschlägen, marschierenden Soldaten und letztlich dem Atombombeneinschlag in Hiroshima.

Nach ihrer geschlechtlichen Metamorphose kämpft Orlando nicht nur um ihre Anerkennung als Dichterin, sondern auch um ihre gleichberechtigte Anerkennung als Frau. Genau wie von ihren aufgeblasenen Dichterkollegen in barock anmutenden Gewändern wird sie im bei Virginia Woolf nicht vorhandenen Ausflug im viktorianischen England auf ihre Rolle als Kinder gebärende Mutter und vor allem Objekt männlicher Begierde reduziert. Olga Neuwirth ruft aber nicht nur die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert in Erinnerung, sondern auch jene missbrauchter Kinder, die scheinbar unschuldig einem wegschauenden Gott ihr „Danke“ entgegenschreien.

Im Ersten Weltkrieg lernt Orlando ihren Mann und Kriegsfotografen Shelmerdine: Diese Rolle erfüllt Leigh Melrose hervorragend. Die grauen Fetzen seines Kleides stehen für die Leiden des Krieges. Dass Neuwirth und Filloux die Entwicklung weitergedacht haben bis heute, will die Besucherinnen und Besucher noch stärker aufrütteln, gegen den wieder um sich greifenden Totalitarismus und Ausgrenzung aufzustehen. Die Namen projizierter Shoa-Opfer und ein eingespielter Ausschnitt aus Bachs Doppel-Violinkonzert mit Arnold Rosé und seiner in Auschwitz-Birkenau getöteten Tochter mahnen eindringlich dazu. In die Episoden danach – die 68er Bewegung, ein Mega-Supermarkt als Zeichen für den Neoliberalismus und gegen die Übernutzung der Welt demonstrierende Kinder – sind leider zu viele Themen hineingepackt. Hier könnte Raffung gut sein. Die Bilderflut jedenfalls zieht nur noch vorbei. In Summe ist Olga Neuwirths Orlando ein bewegendes Gesamtkunstwerk aus Musik und Bewegung.

Weitere Vorstellungen am 11., 14., 18., 20. Dezember – www.wiener-staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

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