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Liebenswert schräge Vögel

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / BOOKPINK

03/12/19 Solange Menschen einander Tiernamen an den Kopf werfen oder den Vogel zeigen, hat die Fabel als literarische Form nicht ausgedient. Und wenn dann erst so drollige Vögel sich versammeln wie in Caren Jeß' Bookpink!

Von Reinhard Kriechbaum

Noch bevor dieses Stück erstmals auf die Bühne kam – im Schauspielhaus Graz ist es jetzt so weit – haben der Bookpink (plattdeutsch für Buchfink) und seine gefiederten Freunde durch ihr gar menschen-nahes Gezwitscher auf sich aufmerksam gemacht: Die 1985 in Schleswig-Holstein geborene Autorin erhielt dafür 2018 den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik (Residency). Bookpink wurde zum Heidelberger Stückemarkt 2019 eingeladen und im Stückeparcours der Autorentheatertage 2019 am Deutschen Theater Berlin szenisch gelesen.

Nun also die Uraufführung in Studioatmosphäre, die der Sache sehr entgegen kommt. Da fliegen die Herzen den Vögeln nur so zu. Mit den meisten der 36 Individuen (es sind auch ein paar Pflanzen dabei, ein Pflasterstein und mehrere Allegorien) möchte man sich zu gerne solidarisieren. Sie alle sind nicht auf die Butterbrotseite des Lebens gefallen und müssen im Überlebenskampf Federn lassen. Oder gar absaufen, wie die Sumpfmeise Veroniko: Der widersagt der Körperpflege, dem Lavendelduft und den üblichen Verrichtungen männlicher Artgenossen („Wir streben nach Begattung“, sagen die). Veroniko weigert sich, die Beine zu rasieren. Auf dem nassen Weg zu „einem neuen Entwurf seiner Persönlichkeit“ wird es ihn, den Individualisten, nach unten ziehen.

Die weiße Taube schenkt sich mit gespreizten Fingern Tee aus der Thermosflasche ein und sie beobachtet aus dem schützenden Schatten eines Mülleimers das absonderliche Menschentreiben auf einem Campingplatz gegen Saisonschluss. Dass sie ausgerechnet dort zum Musikfan wird und sich in barocke Opern hineinspintisiert, spricht für hartnäckige Kreativität. Freilich herbstelt es schon, und die Perspektiven sind nicht rosig: „Vom Barock träume ich im Winter nie.“

Das ist ja eine Eigenart von Caren Jeß' bunten, schrägen, traurigen Vögeln: Sie durchleben Tiefen, aber so richtig zur Katastrophe kommt es selten. Irgendwie geht es immer weiter in diesem federleicht-flauschigen Bestiarium: Jene Gutgläubigen, die zum „Kokon der Vernunft“ pilgern und sich von dem beharrlich schweigenden Götzen Ezzes für ihre kleinen Alltagssorgen erbitten, werden schließlich argwöhnen, dass sie es womöglich nur mit einem „Ellipsoid aus Glas“ zu tun haben – und auch ohne Antworten ein klein wenig gereift sein. Die Pute ernennt sich selbst zum Energetiker. Das Bauchgefühl sagt ihm, dem Möchtegern-Guru: Serpentinit! Holz, wiewohl durch Biber-Biss quasi fachmännisch geadelt, wird von ihm und den gutgläubigen Hühnern verworfen. Die Entscheidung für den Stein ist allerdings fatal, denn in ihm steckt auch Asbest, und das ist letal fürs Geflügel. Eine der wenigen echten Tragödien.

Das „dramatische Kompendium“ von Caren Jeß hat ganz viel mit Sehnsüchten und Verirrungen zu tun. Oder auch nur mit verbreiteten Spleens. Die tanzenden Flamingos, im Kinderzimmer der Krähe zum lebenslangen Vitrinen-Dasein verurteilt, wollen türmen und entwerfen einen gar gefinkelten Fluchtplan. Aber was bringt's schon, vor sich selbst davonzulaufen? Klappt bei Menschen auch nur bedingt.

Bookpink (der Namensgeber ist nur Randfigur) ist höchst dankbar für die Schauspieler. Deren fünf sind's in Graz, liebenswert schräge Vögel. Abwechselnd schlüpfen sie auch in die Rolle des Erzählers bzw. der Erzählerin.

Urkomisch der Bussard, der sich eine ganze Szene lang erfolglos abmüht mit der Mausefalle und sie schließlich zornig in die Ecke wirft. Keine Federkostüme natürlich, meist nur kleine Accessoires fürs jeweilige Getier. Ein paar schwarze Holzkisten als einzige Ausstattung dienen als Podeste und bergende Volieren, von denen aus die Vögel einander durchaus auch misstrauisch beobachten. Zum Dreckspfau hält man vielleicht wirklich besser Abstand: Das Früchtchen ist die Frucht einer Kindes-, pardon, Ei-Weglegung. Mutter Pfau hatte die Nase voll von Küken und das Gelege im Wald deponiert. Prompt ist der Knabe auf die schiefe Bahn geraten, er wurde zum Dreckspfau – jetzt möchte er seine Autobiographie schreiben und er träumt davon, vor dem letzten Kapitel doch noch seine Mutter kennen zu lernen. Unerfüllbere Sehnsucht wohl.

Die junge Kärntner Regisseurin Anja Michaela Wohlfahrt dreht so präzis an den Stellschrauben, dass aus den coolen Vogel-Charismatikern keine zu krassen Karikaturen werden. Es schaut naturecht-bizarr aus, wenn uns der Spiegel einen Vogel zeigt. So funktioniert Fabel.

Aufführungen bis 25. Jänner 2020 im Schauspielhaus Graz Ebene Drei – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Stella

 

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