Glanz in der Felswüste

THEATER AN DER WIEN / ALCINA

25/09/18 Tatjana Gürbaca verlegt Händels Alcina auf eine öde Felsinsel und arbeitet den Machtkampf zwischen Alcina und Bradamante glasklar heraus. Im Graben sorgt der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried für wohligen Barockklang.

Von Oliver Schneider

Eine Felsinsel umspült vom grauen Meer unter einem ebenso trüben Himmel. Das soll Reich der Zauberin Alcina sein, die gleich wie die antike Kirke die Männer reihenweise in ihre Einöde lockt, um sie nach kurzem Liebesspiel in Vögel, Löwen, welkende Zitronenbäume oder Blumen zu verwandeln?

In Tatjana Gürbacas neuer Alcina von Georg Friedrich Händel im Theater an der Wien fehlen barocke Illusionen. Vor allem Alcinas Präsenz im rosa-grauen langen Kleid im Stil der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts (Ausstattung: Katrin Lea Tag) sorgt dafür, dass sich der ihr aktuell verfallene Ruggiero und seine Vorgänger im Zauberland wähnen. Zaghaft sprießen Blumen aus den Felsen. Lachende Jünger (aktiv und perfekt eingestimmt der Arnold Schoenberg Chor) umschwirren die noch mächtige Zauberin und amüsieren sich, wenn Mann nach Mann der Angebeteten zu Füssen fällt und zum Dank für seine Liebe mit der Verwandlung in einen Vogel belohnt wird.

Zwei Power-Frauen treffen aufeinander, neben denen Ruggiero wie ein Waschlappen wirkt. Mit Marlis Petersen als Alcina und Katarina Bradić als Bradamante sind die idealen Gegenspielerinnen vereint. Stimmlich mag Bradićs Mezzosopran noch stärker dem Ideal einer instrumental geführten Stimme entsprechen. Die Petersen punktet dafür mit mehr Wärme in den lyrischen Arien. In puncto Koloraturgeläufigkeit und bei Verzierungen sind sich die beiden, von Gürbaca genau punktgenau gezeichneten Frauen ebenbürtig.

Dank Melisso (sonor Florian Köfler) wird Ruggiero mittlerweile über Alcinas Machenschaften aufgeklärt und kann sich aus ihrem Bannkreis befreien. Aus dem schlaffen Lover wird zuletzt ein Kämpfer, der dem Spuk ein Ende setzt. David Hansen kann seinem Countertenor alle Facetten für die Rolle entlocken. Vom besänftigten Liebhaber wird er zum virilen Kämpfer für die Freiheit, der mit virtuoser Geläufigkeit das Publikum mitzureissen weiss. Insel und Meer verschwinden und zurückbleibt die nackte Bühne mit wirklich glücklichen Menschen zeigt, die Vogel um Vogel, den Baum und zuletzt einen Löwen erlösen.

Der Löwe ist der Vater Obertos, der sich nach Ruggieros Vorbild von Alcinas Macht befreit und für die Rückkehr seines Vaters kämpft (der St. Florianer Sängerknaben Christian Ziemski stimmlich überzeugend wie die Grossen).

Alcinas Schwester Morgana braucht bis zum dritten Akt, um zu erkennen, dass „Ricciardo“ nicht der richtige Mann für sie ist. Alcinas treuer Feldherr Oronte muss sich erst das Herz förmlich aus dem Leib reißen und ihr zu Füssen legen, bis Morgana erkennt, dass sie eigentlich zusammengehören. Rainer Trosts Tenor klang in der besuchten Vorstellung im ersten Teil des Abends unausgeglichen in den Registerübergängen, in seinem Bekenntnis im dritten Akt ließ er keine Wünsche übrig. Mirella Hagen ist eine stimmlich mädchenhafte und naive Morgana.

Im Orchestergraben sitzt der Concentus Musicus Wien, geleitet von Stefan Gottfried. Schon in der Ouvertüre hört man: Hier wird geschmeidig und rund auf Originalinstrumenten gespielt. Das kommt den Stimmen von Marlis Petersen, Mirella Hagen und Rainer Trost entgegen. Man hat den Concentus zwar klarer, schärfer und weniger mild in Erinnerung. Aber es muss ja auch nicht immer wie bei den Kollegen aus Sibirien klingen.

Alcina – weitere Vorstellungen im Theater an der Wien bis 26. September – die nächste Premiere folgt mit Gioachino Rossinis Guillaume Tell am 13. Oktober - www.theater-wien.at
Bild: Theater an der Wien / Herwig Prammer