„Freischütz“ als Künstlerdrama

WIEN / STAATSOPER / DER FREISCHÜTZ

19/06/18 Der Jägerbursche als Komponist am Flügel vor einer überzeichneten Abendgesellschaft in einem sich perspektivisch, nach hinten verengenden Raum: Max fehlt die Inspiration, um sein Werk zu beenden. Erst dann darf er Agathe heiraten. Dies ist der Ausgangspunkt von Christian Räths Neuinszenierung von Carl Maria von Webers „Freischütz“.

Von Oliver Schneider

Die Wolfsschlucht, in der Caspar die scheinbar befreienden Freikugeln gießt und dem schwarzen Ritter Samiel – bei Räth ein Alter Ego Caspars – Max' Seele verspricht, mutiert zum aus der Ideenlosigkeit erlösenden Traumbild. Der Regisseur versucht auch Agathe eine zusätzliche charakterliche Facette zu verleihen, indem er sie als Zweifelnde darstellt. Will sie den Komponisten Max wirklich heiraten? Davon ist sie erst am Ende überzeugt, nachdem sie bei Fürst Ottokar um Gnade für Max gefleht hat. Max soll für sein Spiel mit dem Bösen mit der Verbannung zahlen. Im Kronleuchter hereinschwebend plädiert der weise Eremit stattdessen auf ein Jahr Bewährung, was ihm gewährt wird. Unter Agathes Aufsicht setzt er sich sogleich mit der Feder an den Flügel – um zu komponieren. Wenn es denn so einfach wäre!

Grundsätzlich kann man der Grundidee einiges abgewinnen. Auch das gut zusammengestellte Programmheft liefert erhellende Hintergrundtexte und Textpassagen – unter anderem aus Thomas Manns „Doktor Faustus“. Schade ist aber, dass Christian Räth sein Konzept nicht bis in die letzte Konsequenz durchdacht und umgesetzt hat. Es wird letztlich doch mit Gewehren hantiert und von der Jagd gesprochen. Die Dialoge stehen trotz kleiner Eingriffe quer zu dem, was auf der Bühne erzählt wird. Hier hätte es mehr Mut zum Eingriff gebraucht.

Zu wenig gearbeitet hat der Regisseur auch mit den Darstellern, was diese nur teilweise aus eigenem Antrieb kompensieren können. Funktional ist immerhin der schwarzgraue, schlauchartige Raum mit Spiegelwänden, der sich durch rote Vorhänge (passend für ein Künstlerdrama!) mal als Konzertsaal, mal als Agathes Zimmer oder auch als leere Wolfsschlucht nutzen lässt (Ausstattung: Gary McCann). In der Wolfsschlucht ist so auch genug Platz für ein laienhaftes Rabenballett (Choreographie: Vesna Orlic). Schon Alfred Kirchners, 1995 erstmals gezeigter „Freischütz“ war kein großer Wurf, aber Christian Räth bleibt dahinter noch zurück.

Sehr viel erfreulicher erweist sich der musikalische Teil des Abends. Andreas Schager kann als Max aus dem vollen Kontingent seiner stimmlichen Möglichkeiten schöpfen und brilliert auf ganzer Linie in der kurzen, aber anspruchsvollen Partie. Will man etwas bemängeln, dann ist es allenfalls eine gewisse Eindimensionalität in der Lautstärke. Alan Held fehlt für den Caspar das Dämonische, wiewohl er stimmlich einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Hans Peter Kammerer als Samiel ist rollenbedingt zum Sprechen verurteilt. Camilla Nylund ist eine nachdenkliche Agathe, die in ihrer ersten Arie mit der Höhe kämpft, in der zweiten dann aber mit sensiblem Ausdruck gefällt. Publikumsliebling Daniela Fally ist ein burschikoses Ännchen mit Pagenschnitt, das im dritten Aufzug die Brautjungfern chefinnenmäßig kommandiert. Clemens Unterreiner ist ein gutmütiger Erbförster mit sonorer Kraft. Adrian Eröd (Ottokar) ist von der Regie persiflierend gezeichnet und wird in seiner kurzen Partie auch stimmlich gefordert, Albert Dohmen ist als Eremit geradezu eine Luxusbesetzung. Mit boshafter Schadenfreude hält Gabriel Bermúdez als Kilian im ersten Akt Max seine Ideenlosigkeit beim Komponieren. vor. Thomas Lang hat den Chor der Staatsoper tadellos vorbereitet.

Tomás Netopil dirigiert schlank ausgesteuert und sängerfreundlich. Er betrachtet den „Freischütz“ nicht aus der Rückschau, sondern als ein Werk, das Richard Wagner inspiriert hat. Das Orchester und das Bühnenorchester sind auch bei dieser letzten Neuproduktion der Saison noch einmal konzentriert bei der Sache und entschädigen mit den Protagonisten fürs szenische Mittelmaß.

Aufführungen am 20., 25. und 28. Juni sowie am 8., 11. und 14. September (in zum Teil neuer Besetzung) – www.wiener-staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn