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Und die Karten haben doch recht

REST DER WELT / BREGENZ / CARMEN

20/07/17 Trotz kräftigen Regens bis zum dritten Akt war die Premiere von Georges Bizets Carmen auf der Bregenzer Seebühne ein großer Erfolg für alle Künstlerinnen, Künstler sowie das Leitungsteam um Regisseur Kaspar Holten und Dirigent Paolo Carignani.

Von Oliver Schneider

Je nach Wetterbericht hieß es, dass die Gewitter ab 21 Uhr durchgezogen sein würden oder dass es weiterregnen sollte. Das letztere war schließlich leider der Fall. Aber man entschied sich wohl nicht zuletzt aufgrund der anwesenden Politprominenz, fast pünktlich zu beginnen. Eigenpackt in Regencapes durfte man die auch bei dieser Neuproduktion wieder spektakuläre Bühnenkonstruktion in Funktion erleben. Carmens Hände – die eine ragt über 20 Meter aus dem Bodensee – werfen 62 Spielkarten in die Höhe, von denen ein Teil in der Luft (Flying-Cards) bleibt und dank Video-Mapping mal zu Tarot- oder gewöhnlichen Spielkarten werden. Fast die Hälfte bildet auf unterschiedlichen Ebenen eine Spielfläche auf unterschiedlichen Ebenen. Die unterste Ebene bestehend aus Gitterrosten lässt sich versenken, so dass die Tanzszene in Lillas Pastias Schenke zum Wasserballett (Choreografie: Signe Fabricius) wird und Carmen am Ende von José nicht erstochen, sondern ertränkt wird.

Das Ganze ist dank ausgeklügelter Beleuchtung (Bruno Poet), den perfekt die Handlung aufnehmenden Videos (Luke Halls), effektvollen Klettereinsätzen der Schmuggler an den „Flying-Cards“ und des geschickten Einsatzes des Sees in der gesamten Szenerie – so darf zum Beispiel Escamillo im letzten Akt mit der Motorbarke anreisen – ein Spektakel für die Augen. Da darf ein Feuerwerk nicht fehlen, wenn die Toreros in die Arena einziehen. Auf spanisches Kolorit hat die Bühnenbildnerin Es Devlin verzichtet, sieht man von den zeitweise gezeigten Sevilla-Bildern auf den Karten als Andeutung des Handlungsortes ab. Zeitlich hat Regisseur Kaspar Holten den Abend in den Spanischen Bürgerkrieg versetzt, was sich vor allem an den Kostümen zeigt (Anja Vang Kragh). Dass Carmen aus Sicht des Regieteams eine Anarchistin ist, sie genau wie José eine gesellschaftliche Außenseiterin ist, das sieht man nur andeutungsweise aus der Entfernung. Genauso wenig, wie man die im Programmheft gut beschriebenen Charakterisierungen der anderen Protagonisten wirklich wahrnimmt.

Zusätzlich müsste man diese Carmen noch im Festspielhaus sehen, um mehr von der guten, aber sicherlich nicht neue Einsichten bietenden Personenführung zu haben. Für eine solche Erwartung wäre die Seebühne auch der falsche Ort.

Was diese Spielstätte von anderen Freilichtbühnen neben dem technischen Aufwand abhebt, ist der ausgezeichnete Klang. Die Wiener Symphoniker spielen im Festspielhaus. Zum Glück, sonst muss man – wie in Verona – bei jedem Regentropfen unterbrechen oder könnte gar nicht anfangen. Heuer erscheint der Klang ganz besonders gut, da ein Teil der Lautsprecher in den Flying-Cards versteckt ist. Und weil Paolo Carignani und die Musiker für ein packendes Hörerlebnis sorgen. Vitalität und knallige Effekte gehören zu einer Carmen, und die kommen dank des überraschend feurigen Dirigats nicht zu kurz. Aber Carignani sucht immer auch unter der gefälligen Oberfläche nach Abgründen, nach den Abbildern der Seele einer Carmen, einer Micaëla oder eines José.

Auch die klangstarken, gut einstudierten Chöre (Prager Philharmonischer und Bregenzer Festspielchor, Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz) dürfen im Haus singen, während die Protagonisten am Premierenabend draußen mit den widrigen Konditionen und dem Premierenstress fertig werden müssen. Das gelingt ihnen mehrheitlich mit Bravour. An erster Stelle ist Elena Tsallagova zu nennen, die die Micaëla zu einer selbstbewussten Frau macht und sie mit hoch expressiver Stimme ausstattet. Gäelle Arquez, die Herzdame des Kartenspiels, hat das nötige Temperament und das Timbre für eine Carmen, die über Leichen geht, um ihr Ego auszuleben.

Daniel Johansson, der Treff Bube, ist ein sich in Szene zu setzen wissender, stimmlich adäquater José, der mit sich selbst und um Carmen ringt. Scott Hendricks als Esamillo ist das Pik Ass als Spielkarte zugeordnet. Er gestaltet den sieggewohnten Torero gut in seiner ganzen Eindimensionalität, stimmlich wirkt er vor allem im zweiten Akt etwas grobschlächtig. Ausnahmslos gut besetzt sind die kleineren Rollen.

Sämtliche Partien sind mehrfach besetzt für die 27 Vorstellungen bis 20. August 2017, die bereits seit langer Zeit ausverkauft sind. Heuer heißt es also auf kurzfristige Rückgaben hoffen; einige Restkarten sind zurzeit erhältlich. Aber zum Glück läuft die Produktion wie immer zwei Jahre.

ORF 2 überträgt die Produktion morgen Freitag 21.7.) um 21.20 Uhr – www.bregenzerfestspiele.com
Bilder: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

 

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