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Die Liebe in Zeiten der Besatzung

GRAZ / OPER / NORMA

01/06/17 Der ungetreue Liebhaber ist doch „ein Guter“. Die junge Rivalin ohnehin eine der loyalsten Figuren der Operngeschichte. Die tragische Titelheldin wirft wohl kurz die Nerven weg und ruft aus privaten Gründen zum Kampf, doch Normas Selbstlosigkeit siegt - und bewegt jedes Mal aufs Neue. Ganz besonders in der aktuellen Grazer „Norma“.

Von Heidemarie Klabacher

Ein vergammelter Turnsaal gibt den Raum vor. Ohne das Basketball-Netz könnte es auch eine aufgelassene Werkshalle ein. Die mit dem Putz ab-blätternde goldschimmernde Figur an der Stirnwand ermöglichte auch sakrale Assoziationen, die aber weiter nicht verfolgt werden. Die privaten Räume der Protagonisten fahren aus der Wand heraus, der Geräteraum des Turnsaals wird etwa zu Normas Wohnung.

Dieses zeitlos zeitgenössische Bühnenbild von Martina Segna erweist sich als idealer Rahmen für die ebenso zeitlos zeitgenössische Inszenierung von Florentine Klepper. Die Regisseurin deutet die „politische“ oder „aktuelle“ Ebene von Vincenzo Bellinis „Norma“ mit wenigen Versatzstücken an. So etwa sind die herbeigekarrten Waffen der Gallier moderne Maschinengewehre. Die, einmal sogar über den Köpfen der Zuschauer, effektvoll geschwungenen Flaggen, könnten in jedem x-beliebigen Befreiungskampf und auch in jedem heutigen Propagandafilm verwendet werden. Das Gewand, in welchem Norma auf den Scheiterhaufen geht, ist in den Farben Grün-Weiß-Rot gehalten und ersetzt ganze historische Abhandlungen über Nations-Werdungs-Kämpfe, sei es in Italien oder sonst wo. Die Kostüme, die Adriane Westerbarkey den Galliern verpasst hat, erinnern zunächst an das Outfit umweltbewegter Au-Befreier der Siebzigerjahre. Doch diese werfen sich dann doch in den Kampfanzug. Über einzelne Merkwürdigkeiten, wie den Auftritt von Habergeiß und Schab beim Ritual oder die herumfahrenden Römerzelte sieht man gerne hinweg.

Denn die Szene ist, bei konsequent schnörkelloser Personenführung, handwerklich hervorragend gearbeitet und lenkt in kaum einer Minute vom Wesentlich ab – der Musik und der privaten Tragödie der gallischen Druiden-Priesterin, die ihre Gelübde gebrochen, sich mit dem Führer der feindlichen Besatzungsmacht, dem römischen Prokonsul Pollione, eingelassen und von diesem zwei, dem Stamm verheimlichte, Kinder bekommen hat. Und jetzt hat dieser Römer sich in die nächste keusche Druiden-Novizin verliebt…

Mit Irina Churilova als Norma steht eine Sängerin im Mittelpunkt, die ihre Rolle stimmlich wie darstellerisch gleichermaßen mit Glut und Leben erfüllt: souverän in der Stimmführung, kraftvoll und präsent, strahlend und geschmeidig in allen, besonders bewegend aber in den hohen Lagen, berührend in ihrem virtuosen, so leichten wie tragfähigen Piano oder gar Pianissimo. Die aus Nowosibirsk stammende Künstlerin debütiert mit der Titelrolle an der Grazer Oper.

Ihr zur Seite steht Dshamilja Kaiser als Novizin – und Rivalin wider Willen – Adalgisa. Die Sopranistin, seit 2009 Ensemblemitglied der Oper Graz, hat sich vor der hier besprochenen Aufführung am 28. Mai als erkältet entschuldigen lassen. Es wäre nicht nötig gewesen. Dshamilja Kaiser, deren überragende Brangäne aus „Tristan und Isolde“ noch immer im Ohr ist, gab in dieser Inszenierung darstellerisch eine selbstbewusste durchaus „moderne“ Adalgisa. Sängerisch überzeugte sie mit in der Mittellage sicher geerdeten, weit ausgespannten Melodiebögen von strahlendem Glanz in allen Lagen. Das Duett Adalgisa/Norma von Dshamilja Kaiser und Irina Churilova ist denn auch ein bewegender Höhepunkt der Stimmkultur und Gestaltungsfähigkeit.

So stehen - trotz martialischem Hintergrund und betörender altrömischer Verführungskunst - bei „Norma“ die Damen im Mittelpunkt. Dabei weiß Medet Chotabaev als römischer Prokonsul Pollione überzeugend tenoralen Schmelz in strahlende Kantilene zu gießen: ein elegant phrasierender, Spitzentöne geschmeidig und organisch entwickelnder Sänger. Kein Wunder, dass Adalgisa dem Werben eines solchen Pollione erliegt. Auch der aus Kasachstan stammende Künstler debütiert in „Norma“ an der Grazer Oper.

Tigran Martirossian ist der Oroveso der stimmigen Produktion, ein darstellerisch immer dosiert „verschwörerisch“ agierender und sängerisch seinen voluminösen Bass immer klangvoll dosiert einsetzender Chef-Gallier. Dem Chor kommen in Norma mehrere Schlüsselstellen zu: Chor und Extrachor der Oper Graz, einstudiert von Bernhard Schneider, trugen ihre teils ein wenig schrägen Kostüme mit Würde und sangen – ob fromme Anbeter der Göttin oder erzürnte Feinde Roms – mit sicherer Balance und Homogenität zwischen den Stimmengruppen: Chorkultur, wie sie keineswegs selbstverständlich ist auf der Opernbühne.

Die pulsierende, immer mit Verve vorwärtsdrängende Basis für die Leistungen der Vokalisten legte in dieser Aufführung Marcus Merkel am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters. Hat man aus dem Orchestergraben der Grazer Oper in letzten Produktionen vor allem laute Töne gehört, ließen in dieser „Norma“ von den ersten Takten an geschmeidige, beredt phrasierte Klänge aufhorchen. Die Kriegsaufrufe und sonstigen Bellini’schen Eruptionen gestaltete Marcus Merkel mit Energie mehr, denn mit purer Lautstärke. Die intimen Szenen ließ er dagegen mit so farbkräftigen wie fein differenzierten Orchesterfarben ausmalen.

Die nächste Aufführung von „Norma“ in der Oper Graz ist am Freitag (2.6.) - weitere Termine 9., 11., 18. und 21. Juni - www.oper-graz.com
Bilder: Oper Graz/Werner Kmetitsch
 

 

 

 

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