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In Istanbul als Frau aufwachen

REST DER WELT / GRAZ / ORLANDO

20/04/17 Schon ein recht alter Knabe, dieser Orlando – oder auch ein altes Mädchen. Wenn man über 350 Jahre Jahre auf dem Buckel hat, haben sich nicht nur die Geschlechterrollen rundherum geändert... Virginia Woolfs „Orlando“ auf einer kleinen Wunderbühne.

Von Reinhard Kriechbaum

Und wenn er/sie nicht gestorben ist: Dann ist Orlando vielleicht auch heute für Überraschungen, für Irritationen seiner Umgebung gut. Er passte sogar ganz außerordentlich gut in unsere Zeit, mit seinem notorischen Misstrauen gegenüber festen Beziehungs. Wenn es brenzlig wird und das Verhältnis zum Lebensabschnittspartner zu eng, dann macht Orlando sich nämlich gerne auf und davon. Da bleibt sogar Elisabeth I. Auf der Strecke, deren queenliches Auge im 16. Jahrhundert, gleich am Anfang dieses nicht endenden Lebens, auf Orlando fällt.

1928 ist der nicht nur im Zeitverlauf der Geschichte tendenziell surreale Roman „Orlando – eine Biografie“ von Virginia Woolf erschienen und Orlando, geboren im Elisabethanischen Zeitalter, immer noch am Leben. In diesem letzten Abschnitt – schon die längste Zeit ist Orlando eine Frau – hat er/sie dann doch geheiratet, einen Seemann, der immer unterwegs ist. Im Viktorianischen Zeitalter sind eben feste Beziehungen eine Lebensbedingung geworden. Was waren da doch Renaissance und Barock für gute Zeiten.

Virginia Woolf hat den Roman ihrer Freundin, der englischen Schriftstellerin Vita Sackville-West, gewidmet. „Orlando“ ist ein dankbares Stück Literatur für feministische Perspektiven und Deutungen. Regisseur Jan Stephan Schmieding geht die Sache in seiner Grazer Bühnenversion aber recht locker und undogmatisch an. Das Leichtfüßige, ja Burleske bestimmt den Tonfall, nicht die knöcherne Geschlechter-Didaktik. Das ist also ein feiner Abstand zum Original, der einen zwar nicht un-kurzen, aber irgendwie schwerelosen Theaterabend sichert. Ironie ist Jan Stephan Schmieding obendrein nicht fremd, und auch das schafft willkommene Distanz.

Wichtigstes Ausstattungsstück ist ein riesiges Tuch. In ihm wird Orlando sich verstecken können, er wird es als Kleidung gebrauchen, es wird eine Krinoline umhüllen und dergleichen mehr. Es verbirgt anfangs die vielen niedrigen Glasvitrinen, aus denen die beiden Schauspieler – Henriette Blumenau, Mathias Lodd – immer wieder die nötigen Requisiten hervorziehen.

Wer ist eigentlich wer? Ein Reiz ist, dass die beiden Darsteller in immer wieder andere Rollen schlüpfen oder sie tauschen. Die Geschlechter-Festlegung wird sowieso beständig aufgebrochen. Auch wenn Orlando, in dieser Episode gerade in diplomatischer Mission in Istanbul unterwegs, eines Morgens als Frau aufwacht, bricht die Welt nicht zusammen. Am Vorabend war er noch Mann, aber nicht ganz Herr der der Sinne und hat da eine Tänzerin geehelicht. Solche Probleme sind in Orlando einfacvh zum Lösen da. 

„Welche Lust ist größer? Die des Mannes oder die der Frau?“, lässt Virginia Woolf ihre Romanfigur fragen. Orlando wäre ein authentischer Gefühls-Zeuge für eine plausible Antwort, die es natürlich nicht gibt.

Aufführungen bis 22. Juni, Graz, Schauspielhaus, Ebene zwei – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

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