asdf
 

Der Zwerg liegt falsch

REST DER WELT / GRAZ / DER ZWERG, DER GEFANGENE

29/03/17 Mit zwei Opern-Einaktern betritt die Grazer Oper beinah Neuland: Denn sowohl „Der Zwerg“ von Alexander Zemlinsky als auch „Der Gefangene“ von Luigi Dallapiccola kommen je irgendwo auf die Bühne.

Von Reinhard Kriechbaum

Der Zwerg: Keiner hat ihm je gesagt, dass die Leute keineswegs ob seines gewinnenden Äußeren oder ob seiner Grandezza über ihn lachen. Sein Spiegelbild hat er nie gesehen, und drum ist seine rundum positive Eigenwahrnehmung ungebrochen. Die spanische Infantin, die diesen Zwerg als Geschenk zum 18. Geburtstag erhalten hat, beginnt ein garstig Spiel mit dem Ahnungslosen, sein böses Ende ist absehbar.

Den Stoff von Oscar Wilde („Der Geburtstag der Infantin“) hat Alexander Zemlinsky 1922 in eine Oper verwandelt, als eine Reminiszenz ans Freud-Zeitalter. Musikalisch ein aufschlussreiches Stilgemisch, in dem der Komponist der Musik-Ebene der Prinzessin – Tänzerisches in betörenden Farben und im Ton des 19. Jahrhunderts – entschieden rauere Töne gegenüberstellt, wenn es um den malträtierten Zwerg bar jeder Selbsterkenntnis geht. Sein Erwachen ist ein jähes Eintauchen in den musikalischen Expressionismus (so nah ihm Zemlinsky eben kommen wollte). Eine Rolle, die dem Tenor viel abverlangt, ist er doch Fünfviertelstunden gefordert, teilweise in exponiertester Höhe. Aleš Briscein macht das mit der über-kraftvollen Routine eines slawischen Tenors – wohl nicht das Ultimative an Gestaltungskraft, aber jedenfalls formatfüllend. Tatjana Miyus ist die Prinzessin, aber die estnische Sopranistin Aile Asszonyi (als Hofdame Ghita) in gestalterischer Hinsicht gewiss der Mittelpunkt der Aufführung.

Aile Asszonyi ist dann in Luigi Dallapiccolas „Der Gefangene“ die Mutter des gefolterten Delinquenten (Markus Butter). Auch dieser Gefangene hängt wie der Zwerg einer gewaltigen Selbsttäuschung nach: „Fratello“, Brüderchen, hat der Wärter gesagt – und damit im Delinquenten eine Hoffnung frei gesetzt, die jeder Grundlage entbehrt. Er wird dem Großinquisitor im wahrsten Sinn des Wortes in die Hände laufen. Man glaubt es beinah nicht, dass das orchestrale Fundament eigentlich Zwölfonmusik ist. Dallapiccola erweckt in dem 1949 uraufgeführten Stück Reminiszenzen an den Neoklassizismus, und er spielt auch mit (tonalen) Versatzstücken aus der Musikgeschichte.

Zwei Allegorien über die Selbsttäuschung also, insofern passen die Werke gut zusammen. Zwei eigentlich selbsterklärende Psychogramme, aber Paul Esterhazy legt noch einige Schäuflein Seelentheater nach. Den „Zwerg“ lässt er als eine Art Psychodrama im Narrenhaus spielen, alle haben ihre Ticks, Zwangshandlungen und Marotten. Gleiche Dekoration dann für den „Gefangenen“. Während sich dieser hinein steigert in falschen Optimismus, lässt Paul Esterhazy die Handlung der Zemlinsky-Oper durch die Kinder-Statisterie miniaturhaft vorspielen, was nochmal eine Wendung ins Absurde bringt. Zwingend ist das freilich nicht, eher ein artifizielles Spiel. Handwerklich jedenfalls gut gemacht.

Dirk Kaftan, der Grazer Opernchef, wird bald Chefdirigent des Beethovenorchesters in Bonn. Hier hat er nochmal vorgeführt, dass er gerne aufdreht und er das Grazer Philharmonische Orchester in Klangfarben schwelgen lässt. Ein wenig Zurücknahme bei Zemlinsky hätte vermutlich mehr sängerische Feingestaltung möglich gemacht. Jedenfalls bringt dieser Opernabend eine willkommene Perspektive-Erweiterung. Beide durchaus repertoiretauglichen Werke wären es wert, öfter aufzutauchen in den Spielplänen, vielleicht sogar in dieser Kombination.

Weitere Aufführungen bis 10. Juni – www.oper-graz.com
Bilder: Grazer Oper / Werner Kmetitsch

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014