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Frenetische Frömmigkeit

REST DER WELT / MUSIKSOMMER ZWISCHEN INN UND SALZACH

05/04/14 Es macht einen Unterschied zwischen Altöttingern und Neuöttingern, wird erzählt. Und gescherzt: Die Altöttinger lassen beten, die Neuöttinger beten selber. Dass sie es gar hochromantisch und enorm musikdramatisch können, bewiesen sie bei der Eröffnung des diesjährigen „Musiksommers zwischen Inn und Salzach“ in ihrer Pfarrkirche St. Nikolaus.

Von Hans Gärtner

Klar, dass sich die Neuöttinger Schützenhilfe holten: aus Bad Reichenhall die (verstärkten) Philharmoniker, aus dem Mattigtal den dort bekannt ehrgeizigen Projektchor und Solisten aus der Euregio Inn-Salzach, die drauf und dran sind, grenzsprengende Bedeutung zu erlangen.

So also schaut das Neuöttinger „Selberbeten“ konkret aus. Ergänzt wurde es von der Chorgemeinschaft Neuötting, die ihr Leiter André Gold, ein wahrer Wunderjunge an musikalischer Vielseitigkeit in Theorie und Praxis, als quasi hausgemachte Ingredienz seines von ihm ins Leben gerufenen Euregio-Oratorienchors so lange triezte, bis er die Laien-Begeisterung seiner Chorsänger(innen) in die Beinahe-Professionalität überführen konnte.

Eine musikalische Reifungsprozedur, die zu einem fulminanten Auftakt des „Musiksommers zwischen Inn und Salzach“ führte. An zwei Werke der katholischen Kirchenmusik-Exponenten des 19. Jahrhunderts wagte sich André Gold heran: Franz Liszts „Graner Messe“ und Anton Bruckners „Te Deum“, beides frenetische Frömmigkeits-Bezeugungen. Liszts Messe braust machtvoll gen Himmel, gibt sich Wagnerianisch-leitmotivisch und macht aus der Schlichtheit des römischen Liturgie-Textes ein Adorations-Theater feierlichen Weihrauchgewölks. Wie André Gold am Pult diesen felsigen Brocken immer wieder aufbröselte, aus dem Stein Sand rieseln lassen, Höhepunkte (etwa das „Dona nobis pacem“) auskosten und seine famosen Vokalisten und Instrumentalisten zum Freudentaumel versammeln konnte, grenzt an ein Wunder.

Bruckners Lobes-Hymnus verlangte dem ganz hinten am Hochaltar klebenden Chor noch mehr ab als es schon Liszts Katholen-Orgie tat. Doch ließen die unterm beleuchteten Auferstandenen Singenden so gut wie nichts an Hör-Wünschen – Präzision in der Diktion, Intensität des Drängens auf Rettung und Erbarmen – offen. Hier leuchtete erneut das nicht nur ausgewogene, nein, auch einzelstimmlich ausgereifte Gesangssolo-Quartett in den prunkvollsten Farben auf: der höhensicher-festgefügte Sopran der Eva Schinwald, der Händel- und Mozart-erprobte Mezzo der Gerda Lischka, der ehrliche, lupenreine, samtige Tenor des Song Sung Min und der virile Bass des staunenswert wandelbaren David Steffens.

Aufwühlender, erregender hätte der „Musiksommer“-Anfang nicht ausfallen können. Dass André Gold die Provinz verlässt (er ist schon mit einem Bein auf dem neuen Posten als künstlerischer Leiter des Münchner Oratorienchors), ist verständlich und man gönnt es ihm. Um ein solches Niveau, wie die „Bet-Stadt“ Neuötting es mit diesem Initiations-Konzert erleben durfte, zu erreichen, geschweige denn zu halten, muss sich der „Musiksommer“ aber nun schon schwer ins Zeug legen.

Der Musiksommer zwischen Inn und Salzach dauert bis 11. Oktober – http://www.musiksommer.info/
Das Programmheft zum Download
Bild: www.kirchenmusik-neuoetting.de

 

 

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