Quer durch Emotionen

TRAUNSTEIN / QUATUOR ÉBÈNE

02/09/22 Vor elf Tagen weilten die Franzosen noch bei den Salzburger Festspielen. Am Donnerstag (1.1.), zum meteorologischen Herbstbeginn, gastierte das Quatuor Ébène im nahen Traunstein. Begeisterte erneut mit einer zwar ähnlich konzipierten, jedoch völlig anderen Werkwahl.

Von Horst Reischenböck

Nach der Corona-bedingten Unterbrechung bewies die restlos ausverkaufte ehemalige Klosterkirche, die einst Salzburgs Fürsterzbischof Johann Ernst Thun den Kapuzinern weihte, das nach wie vor ungebrochen vorhandene Bedürfnis nach qualitativ hochstehenden musikalischen Veranstaltungen auch „auf dem Lande“.

Der anspruchsvolle Anfang war Joseph Haydn gewidmet, den man oft als „Vater“ des Genres Streichquartett bezeichnet, aber er war doch nicht dessen „Erfinder“. Das halbe Dutzend der Sonnenquartette, wie sie auf dem Titelblatt des Amsterdamer Erstdrucks bezeichnet werden, spiegelt seine Experimentierlust.

Man hörte an dem Abend das vierte Stück in D-Dur Hob. III:34. Anspruchsvoll und vielleicht deshalb weniger oft gespielt, stellt es nicht nur einen Prüfstein für die Ausführenden dar, sondern verlangt auch vom Anfang an konzentriertes Mithören, um aller Feinheiten gewahr zu werden. Wirkt doch beispielsweise der wiederholt viertönige Einstieg noch nicht wie das Klopfen des Schicksals an der Pforte, obwohl sich danach die Erste Geige in Händen von Pierre Colombet, die auch im weiteren Verlauf des Kopfsatzes mehrheitlich das Sagen hat, durchaus energisch, kämpferisch zu Wort meldete.

In den nachfolgend stimmlichen Verästelungen der Un poco Adagio, vor allem aber affetuoso auszuführenden Variationen durften auch die übrigen Spieler in den Vordergrund rücken: an der Zweiten Violine Gabriel Le Magadure, an der Bratsche Marie Chilemme und am Cello Raphael Mërlin. Mit dem verquer untanzbaren Menuet alla zingarese leiteten alle danach gleichermaßen virtuos ins geistreiche Presto-Finale.

Mit Dmitri Schostakowitschs innerhalb seines Quartettschaffens zentralem Quartett Nr. 8 in c-Moll op. 110 wurde schon vor der Pause der absolute Höhepunkt vorweggenommen. Vehement ergab sich das Quatuor Èbène der erschütternden Tragik des Komponisten, die vom ersten Auftritt seiner tönenden Initialen alle fünf Teile durchpulst. Nach dem rigoros aufbrechenden zweiten Satz mischten sie in den Walzer höhnische Züge, ließen die anschließenden Forte-Schläge brutal niedersausen, ehe sie abgrundtief Schostakowitschs persönlicher Einschätzung Raum gaben: „Ich dachte darüber nach, dass … kaum jemand ein meinem Andenken gewidmetes Werk schreiben wird. Deshalb beschloss ich, es selbst zu tun.“

Solch trübe Gedanken aufzuhellen wurde Robert Schumanns mittleres seiner Streichquartette op. 41 programmiert, jenes im freundlichen F-Dur, das, eigentlich nicht zu verstehen, relativ selten Konzerte ziert. Beschwingt wiegte das erste Allegro vorüber, der Variationensatz und das Scherzo ließen kaum zu nachdenklichem Grübeln innehalten und zum Schluss wurden fröhlich Erinnerungen ans Finale von Schumanns kurz zuvor entstandener Frühlings-Sinfonie wach.

Für den langanhaltenden Jubel dankte das Quatuor Ébène mit Thelonious Monk, ein Blick in die Cross-Over-Ambitionen des Ensembles.

BR 4 sendet den Mitschnitt am 5. September ab 18.05 Uhr – Es gibt noch Karten für die weiteren Traunsteiner Sommerekonzerte (bis 7. September) – www.traunsteiner-sommerkonzerte.de
Bild: Traunsteiner Sommerkonzerte / Julien Mignot
Zum Vorbericht Gern Gehörtes. Selten Gespieltes