Vom Gottgleichen zum Dienstleister

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07/01/13 „Wissen  sie, wer der Architekt des babylonischen Turms war? Es gab keinen, daher die Verwirrung!“ Mit diesem Bonmot versuchte ein Architekt 1817 vor einem englischen Gericht sein Honorar einzuklagen. – In einer Schau im Münchner Architekturmuseum spürt man der Geschichte und Gegenwart des Berufsstandes nach.

Von Wolfgang Richter

Welchen Stellenwert hat eigentlich der Architekt in einem Metier, das zu den ältesten Tätigkeiten des Menschen gehört? Mit einer umfangreichen Bestandsanalyse und historischen Aufarbeitung verabschiedet sich der Gründungsdirektor des Architekturmuseums, Wilfried Nerdinger, nach 35 Jahren Ausstellungstätigkeit. Er hat an der TU München das bedeutendste Architekturarchiv in Deutschland aufgebaut. Mit seinen Themen erreicht er  nicht nur das Fachpublikum, sondern spricht auch  eine breitere Öffentlichkeit an.

Das macht diese Schau zu einem besonderen Ereignis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. In dieser großen Ausstellung werden - erstaunlicherweise zum erster Mal - die vielen Facetten des Architektenberufs vorgestellt. Von der gottgleichen Stellung im alten Ägypten über den Handwerkerstatus im Mittelalter zum Künstler, vom Fürstendiener zum Freischaffenden werden in mehreren Kapiteln  exemplarisch die gesellschaftliche Stellung, Selbstverständnis, Tätigkeitsfelder und Themenbereiche aufgezeigt.

Ein historischer Längsschnitt vom alten Ägypten bis zur Gegenwart gibt anhand anschaulicher Beispiele eine Vorstellung von der Bedeutung des Berufs, in dem heute in Europa ca. 530.000 Menschen tätig sind. Architektinnen ist übrigens im Katalog ein eigenes Kapitel gewidmet. Den Umsetzungsprozessen von der Skizze über Zeichnung und Modell ist breiter Raum gegeben. Überhaupt gibt es viel und Vielfältiges zum Anschauen: Traktate und Lehrbücher in Originalausgaben, Skulpturen, Fotos und Filme.

Beziehungen zur Musik, zur Bühne und zum Film runden das Bild ab – oder besser, erweitern es. Ein gelungener Versuch, ein Gesamtbild des Berufsstandes in seiner Komplexität zu skizzieren, die letztlich wieder auf das Einfache reduzierbar ist, denn "wir können nur das entwerfen, was wir zeichnen können", meint Peter Eisenman.

Eine Leistung besonderen Ranges ist der zweibändige Katalog (76.- in der Ausstellung, im Buchhandel 98.- Euro). Mit 45 Beiträgen von renommierten  Wissenschaftlern zu interessanten Spezialthemen ist er auch ein Sammelwerk  mit  geradezu enzyklopädischem Anspruch.

Bis 3. Februar im Architekturmuseum der TU München (Pinakothek der Moderne) – www.architekturmuseum.de
Bilder: dpk-W.Richter