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Splatter-Action im Barock

ZÜRICH / HIPPOLYTE ET ARICIE

22/05/19 Erstmals zeigt das Opernhaus Zürich Jean-Philippe Rameaus Opernerstling Hippolyte et Aricie. Emmanuelle Haïm führt musikalisch mit straff lenkender Hand und Feuer durch das von Jetske Mijnssen inszenierte Gefühlsdrama. Das Zürcher Publikum jubelte nach der Premiere.

Von Oliver Schneider

Jean-Philippe Rameau musste erst das für seine Zeit reife Alter von 50 Jahren erreichen, bis er seine erste Oper komponiert hatte. 1733 wurde die „Tragédie en Musique“ Hippolyte et Aricie an der Académie Royale in Paris uraufgeführt. Das Libretto stammt von Abbé Simon-Joseph Pellegrin und fußt unter anderem auf Jean Racines 1677 uraufgeführter Tragödie Phèdre et Hippolyte. Bei den damals noch Ton angebenden Anhängern Jean-Baptiste Lullys stieß das Werk wegen seines neuartigen, komplexen musikalischen Tons allerdings auf Ablehnung. Trotzdem wurde das Werk beim Publikum ein Hit – bereits neun Jahre später fand eine erste Wiederaufnahme statt –, und wurde gleich 32 Mal in Folge gespielt.

Die Regisseurin Jetske Mijnssen lässt den Abend in seiner Entstehungszeit spielen und erzählt die Geschehnisse als eine höfische Familientragödie: Zu den Klängen der Ouvertüre – der Prolog ist gestrichen – werden wir Zeugen einer brutalen Handlung: Phèdres Schergen töten Peritheus im Beisein von Kindern und Großeltern. Thésée schneidet sich die Pulsadern auf, um dem entseelten Freund folgen zu können, während für Phèdre nun der Weg frei wäre, um die Liebe von Thésées Sohn aus erster Ehe, Hippolyte, zu gewinnen. Doch der liebt die Fremde Aricie, der als Priesterin der Diana diese Liebe verwehrt werden soll. Ben Baur hat dazu eher klassizistisch-strenge (Palast-)Räume auf einer Drehbühne geschaffen hat. Die prächtigen Reifröcke und hohen weißen Perücken der Frauen (Kostüme: Gideon Davey) sprechen hingegen die Sprache des Barockzeitalters.

Götter aus der Mythologie gibt es in Mijnssens Inszenierung nur dem Namen nach, sodass Aricie von Phèdre statt zur Priesterin Dianas vor Gott zum Keuschheitsgelübde gezwungen werden soll. Die von Pluton beherrschte Unterwelt, die von Krähen und Geiern bewohnt wird, ist nur eine Vision Thésées.

Indem die niederländische Regisseurin den das Stück in seiner Entstehungszeit spielen lässt, hält sie sich nicht nur an damalige Gepflogenheiten, sondern belässt dem Werk seinen Zauber als barockes Spektakel aus Musik und Tanz. Die Protagonisten macht sie jedoch zu unseren Zeitgenossen aus Fleisch und Blut, die auf der Achterbahn der Gefühle umherfahren. Emmanuelle Haïm am Pult hält dabei die Musikerinnen und Musiker des Orchestras La Scintilla mit immer wieder kantigen Bewegungen am straffen Zügel und bringt jedes noch so kleine Detail zum Leuchten.

Haïm, die erstmalig eine Neuproduktion am Opernhaus Zürich leitet, trägt auch die oft nah an der Rampe positionierten Protagonisten auf Händen, sodass die zum Teil relativ kleinen Stimmen gut über das im Vergleich große Orchester dringen. Mühen bekundete bei der Premiere am Sonntagabend hingegen der von Janko Kastelic vorbereitete Chor des Hauses. Vor allem von den Damen hätte man sich mehr Homogenität gewünscht.

Stéphanie d’Oustrac ist die eifer- und rachsüchtige Phèdre. Mit ihrem runden Mezzosopran gelingt es ihr mühelos, den facettenreichen Charakter der betrogenen und betrügenden Ehefrau zu formen: leidenschaftlich, beredt und nuancenreich. Mit glockenreinem, instrumental geführtem Sopran überzeugt Mélissa Petit als Aricie. Cyrille Dubois besticht als Hippolyte mit warmer, sensibler Tongebung und leuchtender Kraft. Edwin Crossley-Mercer erstellt ein tiefsinniges, musikalisches und szenisches Psychogramm des seelisch gebrochenen Thésée. Eine Spur zu kleinstimmig ist Hamida Kristoffersen als Diane, während Wenwei Zhang einen honorigen Neptune und einen furchterregenden Pluton gibt.

Weitere Vorstellungen 24., 30. Mai, 2., 7. und 14. Juni - www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / T+T Fotografie Toni Suter

 

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