Sex and Crime auf dem Laufsteg

ZÜRICH / L'INCORONAZIONE DI POPPEA

26/06/18 Das Opernhaus Zürich beendet die Saison und die Festspiele Zürich mit einer bejubelten fulminanten „L’Incoronazione di Poppea“, die Calixto Bieito als Spiegel einer exhibitionistischen und von Machtkalkülen beherrschten Gesellschaft zeigt. Ottavio Dantone steuert das musikalische Geschehen aus dem Graben.

Von Oliver Schneider

Ein elliptischer, weit in den Zuschauerraum ragender Catwalk ist um den Orchestergraben gelegt. Die Besucherinnen und -besucher sitzen nicht nur im Zuschauerraum, sondern auch auf einer zusätzlichen Tribüne auf der Bühne, so dass man sich in einem Globe Theatre wähnt (Bühnenbild: Rebecca Ringst). Videoleinwände gab es zwar zu Shakespeares Zeiten nicht, aber ohne die läuft heute nichts mehr. Und in Calixto Bieitos Zürcher Neuproduktion von Claudio Monteverdis letzter Oper „L’Incoronazione di Poppea“ haben sie ihre Berechtigung. Auf einer großen Leinwand hinter der Tribüne und auf diversen kleinen Bildschirmen vor den Proszeniumslogen sieht man zunächst einmal sich selbst. Wem das unangenehm ist – trotz Facebook und Instagram –, geht lieber erst kurz vor Beginn der Vorstellung an seinen Platz.

Die sozialen Medien nimmt Bieito auch als Ansatz für seine Deutung. So wie Monteverdi und sein Librettist Francesco Busenello den Venezianern bei der Uraufführung im Karneval 1643 das eigene Gomorra spiegeln wollten und dafür auf den damals noch bekannten Sündenpfuhl zur Zeit des römischen Kaisers Nero zurückgegriffen haben, spiegelt Bieito unsere Realität. Im Prolog werden die Götter zu pubertierenden Kindern mit ihren Flausen im Kopf (quirlig Jake Arditti als Amore, Florie Valiquette als Fortuna und Hamida Kristoffersen als Virtù). Auf den Leinwänden sieht man dazu Poppea und Nero sich im Schaumbad vergnügend. Sie wollen bei ihrem „Glück“ die Community teilhaben lassen. Aber auch Ottones schmerzverzerrtes Gesicht – Poppea hat ihn verlassen – wird groß projiziert (mit dunkel-leuchtendem Mezzosopran Delphine Gallou). Die sich über die Zustände beklagenden Soldaten sind Bodyguards im den Abend dominierenden Business-Dresscode (Kostüme: Ingo Krügler).

Ob sich Poppea und Nero wirklich lieben? Kaum zu glauben, sieht man die beiden doch eigentlich immer nur beim Versuch, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Geht es Poppea dabei vor allem darum, an die Macht zu kommen, befriedigt Nero in erster Linie seine triebgesteuerte Eigenliebe. Immer wieder blicken seine stahlblauen, eiskalten Augen von der Rückwand auf das Geschehen auf der Bühne. David Hansen verkörpert das menschliche Monster mit ganzem körperlichem Einsatz und überzeugt genauso mit seinem lupenrein geführten Countertenor. Julie Fuchs‘ Poppea mag zwar stimmlich kristallin klingen, doch charakterlich ist diese Frau nicht besser als ihr Liebhaber. Daneben hat die Noch-Ehefrau Neros Ottavia (mit dramatischem Kern Stéphanie d’Oustrac) keine Chance – trotz schickem Cocktailkleid. Doch auch ihre Trauer um den Verlust der Zuneigung des Gatten entpuppt sich schnell als Farce: Ihr geht es um den Machterhalt. Dafür schreckt sie nicht davor zurück, Ottone zum Mord an Nero anzustiften.

Bieito spinnt auch das Spiel Monteverdis mit den Geschlechtern weiter. Die von einem Tenor gesungene Amme Arnalta wird in Zürich zum bauernschlauen Berater (strahlend Emiliano Gonzalez Toro). Ottavias Amme Nutrice gibt Manuel Nuñez Camelino herrlich tuntig – man darf auch mal lachen an diesem Abend.

Neros Lehrer Seneca (sonor Nahuel Di Pero) mag sich zwar barfuß und ohne Hemd im Anzug alternativ und rein geben. Doch ist er nicht besser als die anderen, wenn er den vorbeigehenden Valletto (Gemma Ni Bhriain im Deuxpièces) noch schnell begrabscht. An seinem Selbstmord mit der Rasierklinge in der Badewanne nimmt der Zuschauer natürlich teil, wobei genug Blut fließt – auch sonst an diesem Abend. Nach Senecas Tod kennt Nero dann keine Schranken mehr, treibt es mit Lucano (Thobela Ntshanyana), den er als Dank für seine Hingabe – aus Ehrgeiz? – erschießt, und verstößt seine Ehefrau endgültig.

Drusilla, die als einzige bei ihrem Handeln und ihrer Liebe zu Ottone frei von irgendwelchen Hintergedanken zu sein scheint, zeigt Bieito schließlich als naives Monroe-Double im Luxusoutfit (mit weichem und leicht ansprechendem Sopran Deanna Breiwick). Eine Auszeichnung? Zur finalen Engelsparty intoniert das neue Royal-Paar Poppea und Nero das berühmte, gar nicht von Monteverdi stammende Schlussduett „Pur ti miro“, wozu der blutverschmierte Nero im Großformat erscheint und Poppea ihr Bäuchlein zeigt.

Ottavio Dantone führt das souveräne Orchestra La Scintilla und die Protagonisten mit Umsicht und feinem Gespür durch den Abend, für den er eine vom venezianischen Manuskript ausgehende Fassung erstellt hat. Man darf gespannt sein, was Jan Lauwers Needcompany und William Christie in Salzburg alles einfallen wird.

Weitere Vorstellungen am 27. und 30. Juni, 3, 5., 8. und 12. Juli – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus