Ein Nein zur Welt, ein Ja zum Pathos

REST DER WELT / MÜNCHEN / VALERY GERGIEV

28/09/16 Er hätte gut und gern bei Berlioz bleiben können. Aber nein, für den Hünen Valery Gergiev musste es Richard Strauss sein, der den V. Akt von Hector Berlioz` Oper „Les Troyens“ umklammerte – mit „Don Juan“ und „Ein Heldenleben“.

Von Hans Gärtner

Beide Tondichtungen wären durch Berlioz` „Symphonie fantastique“ und „Harold in Italien“ zu ersetzen gewesen – und es wäre beim Helden-Thema geblieben, das sich Gergiev zum Auftakt der seiner zweiten Spielzeit als Chef der Münchner Philharmoniker auserkor. Warum Strauss? Weil Bayerisches nicht fehlen sollte – bei dem (gesangs-solistisch) russischen Überhang? Oder weil der Überhang an Pathos durch Strauss` witzig-selbstironisierende Abrechnung mit seinen Kritikern etwas von der Schwere des Abends genommen hätte?

Ein bombastisches Heldenleben: Heldenhaft, wie Gergiev die zu jedem Scherz bereiten und zu dickstem Auftrag, aber auch zu süßesten Sologeigentönen (dank Lorenz Nasturica-Herschcowici) fähigen Philharmoniker dazu animierte, das geballt geladene, immer wieder neu sich (selbst)glorifizierende Klanggemälde so unterhaltsam zu präsentieren, dass am Ende (22.45 Uhr!) noch erklecklicher Beifall zu hören war.

„Les Troyens“ zeigen Berlioz als Bewunderer der Antike. Bei den Salzburger Festspielen war das selten gespielte Werk im Jahr 2000 zu hören (unter Sylvain Cambreling), die letzte Aufführung in München (unter Zubin Mehta) ist auch schon wieder fünfzehn Jahre her. Hätte man nur das Programmbuch von damals ins Gergiev-Konzert mitgenommen – man wäre nicht so armselig dagesessen und hätte gewusst, wovon vorne (fünf Solisten) und hinten (der mächtig aufdrehende und sogar Solostimmen einbringende Philharmonische Chor unter Andreas Herrmann) gesungen wurde. Ein eklatantes Manko, dass dem Zuhörer das Libretto des Schlussaktes von „Les Troyens“ vorenthalten wurde.

Aus dem gut besetzten Mariinsky-Solo-Quintett (mit Sergej Semishkur als Énée, Yekaterina Krapivina als Anna, Evgeny Akhmedov als Hylas und dem Bass Yuri Vorobiev) ragte die Karthago-Königin Didon – die glutvoll ihren hochdramatischen Mezzo verströmenden Yulia Matochkina – heraus. Eine schöne Frau im herben Liebesschmerz! In ihrer Weltentsagung – das Feuer des Scheiterhaufens ließ Gergiev förmlich prasseln – war diese Sängerin einsame Spitze.

Die kraftstrotzende Saisoneröffnung wurde vom französischen TV-Sender „Mezzo“ aufgezeichnet. Hoffentlich richteten sich die vier Kameras nicht auch auf die relativ vielen leeren Reihen der Gasteig-Philharmonie. In Frankreich (und wo immer die Sendung des Kanals „Mezzo“ gesehen wird) bekäme man ein falsches Bild des überragenden München-eigenen Orchesters.

Die Saison der Münchner Philharmoniker - www.mphil.de; Gasteig München - www.gasteig.de
Bild: Hans Gärtner (1); Decca/Marco Borggreve (1)