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Zauber, Täuschung und Verführung

FESTSPIELE PFINGSTEN / ALCINA

09/06/19 Eine Hexe? Eine böse Fee? Eine Festland-Kirke, die Männer in Schweine verwandelt, wenn sie ihrer überdrüssig ist? All das ist die Zauberin Alcina. Auch. In der Regie von Damiano Michieletto ist sie aber vor allem eine Frau. In die Jahre gekommen. Vom jugendlichen Liebhaber verlassen. Verzweifelnd vor dem gnadenlosen Spiegelbild.

Von Heidemarie Klabacher

Der große Unterschied zur alternden Menschenfrau, die nach einem Leben in Liebe und Treue vom Ehemann gegen eine Andere ohne belastende gemeinsame Erinnerung ausgetauscht wird: Alcina hat keineswegs ihr Leben mit jemanden „in guten wie in bösen Tagen“ geteilt, sondern ihre zahllosen Lover ihrerseits ziemlich brutal entsorgt – nämlich in Bäume oder Felsbrocken verwandelt. Schweine weniger, das ist ein anderer Erzählkreis.

Regisseur Damiano Michieletto verpflanzt den von Alcina betörten jungen Ritter Ruggiero aus dem Umfeld von Ludovico Ariostos Orlando furioso vom Turnierplatz der Spiegelfechterei in eine prachtvoll düstere Absteige der Gegenwart und macht aus der Zauberin Alcina die Hotelchefin. Deren Schwester Morgane hat ein Verhältnis mit dem Concierge Oronte, verliebt sich aber auf den ersten Blick in einen neu angekommenen Gast, der nur leider die als ihr eigener Zwillingsbruder verkleidete Verlobte des Lovers der Chefin ist.

Das ist das Setting für eine ausgewachsene Komödie ebenso, wie für eine Tragödie kosmischen Ausmaßes. Georg Friedrich Händels Alcina ist letzteres. Auch zauberkundige Hexen können lieben und darob verzweifeln. Regisseur Damiano Michieletto stiehlt dem Werk nicht seinen zaubrischen Hintergrund. Im Gegenteil. Mit seiner Verpflanzung in eine diffuse Gegenwart bevölkert von den omnipräsenten untoten Männern Alcinas, nimmt die Story alle Züge eines Horrorfilms der Gegenwart an. Das David Lynch-Artige wird grandios verstärkt durch die Szene: Das Hotel-Bühnenbild von Paolo Fantin verwandelt sich ständig: von der Lobby, zum Speisesaal, zum Gästezimmer oder auch zum Personalbereich. Immer ist es geteilt durch eine gläserne Wand, hinter der eine Statisten- und Tänzergruppe die untote Schar der verzauberten Männer in der Choreografie von Thomas Wilhelm zum kümmerlichen Existieren zwingt. Das Changieren zwischen Realität und Irrealität wird verstärkt (niemals bloß verdoppelt) durch die beängstigend psychedelischen Videos von rocafilm, die ein unfruchtbares Leben-Müssen und grauenhaftes Nicht-Sterben können suggerieren.

Cecilia Bartoli ist eine darstellerisch grandiose Alcina, die alle Facetten der Figur auszudrücken vermag, als wäre es das Leben selbst und nicht die Bühne: Liebe, Verzweiflung, Hass, Entsagung. Und noch mehr Hass und Verzweiflung weil die Zauberkraft versagt... Mit dem Countertenor Philippe Jaroussky als Ruggiero an ihrer Seite ist der Altersunterschied zwischen den Figuren auch in deren Darstellern repräsentiert, was natürlich Zufall ist, die Tragödie der Titelheldin aber nur umso tragischer wirken lässt.

Sandrine Piau brilliert als Morgana, verführt, zickt virtuos, weint und fleht zum Steine erweichen, und verführt erneut (nachdem der jugendliche Angehimmelte sich als Mädchen herausstellt versucht sie es mit dem verstoßenen Ex). Kristina Hammarström ist als Bradamante, so heißt die Verlobte Ruggieros, eine große Liebende und Verzeihende, die Mitleid mit allen, besonders den untoten Seelen, zu empfinden weiß. 

Kristina Hammarström ist quasi der sängerische Mezzo-Ruhepol in all den emotionalen Aufgeregtheiten der hohen Männer- und Frauenstimmen. Ebenso überzeugend sind der Tenor Christoph Strehl als Oronte und der Bassist Alastair Miles als Bradamantes Begleiter Melisso. Ein Ereignis für sich ist der Wiener Sängerknabe Sheen Park als Knabe Oberto, der unter Alcinas Opfern seinen Vater sucht. Stellt sich der Knirps hin und beflegelt die Bartoli und bietet der Zauberin die Stirn...

Das Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano trägt ganz wesentlich zum Zauber des Opernabends bei, indem es die Stimmungen der Figuren subtil verstärkt durch feinstes Ausloten und Ausmalen jeder Phrase und jeder Verzierung. Dass auf dieser Orchesterbasis gut singen ist, versteht sich. Eine Kategorie für sich sind die perlenden Momente im pianissimo, mit denen die Continuogruppe – Robin Michael Violoncello, Miguel Rincón Theorbe und Marta Graziolino Harfe – den Raum füllt und damit doch auf Erlösung und einen Himmel hoffen lässt.

Nun die Untoten werden mit dem Tod Alcinas tatsächlich erlöst. Ob aber die Paare zusammenkommen und glücklich leben bis der Tod sie scheidet? Wie in jedem guten Film Noir ist in der Regie von Damiano Michieletto das Ende dunkel: Es verstört das qualvolle Sterben Alicnas, deren Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild (grandios die stumme Darstellung Angelika Nieders der Alten Alcina) wohl nicht nur den Frauen im Publikum Alpträume beschert hat. Die beiden Paare mischen sich unter die erlösten Männer – aber keineswegs Hand in Hand...

Alcina – eine weitere Aufführung zu Pfingsten heute Sonntag (9.6.) und Wiederaufnahme am 8. August mit insgesamt fünf Aufführungen bei den Festspielen - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF/Matthias Horn

 

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