In Ostens wie in Westens Land

PFINGSTFESTSPIELE / L’ITALIANA IN ALGERI

20/05/18 Mustafa, Bey von Algier, ist seiner gehorsamen liebenden Gemahlin überdrüssig. Er will eine temperamentvolle Italienerin. Eine solche ist, zu seinem künftigen Pech, soeben küstennah gekentert: Isabella, auf der Suche nach ihrem Geliebten. Lindoro ist Sklave am Hofe besagten Beys und gar nicht glücklich darüber, dass dieser ihm seine abgelegte Gattin andrehen will.

Von Heidemarie Klabacher

„L’italiana in Algeri“ also. Das Setting klingt nach Turban, Eunuch und Haremsdame. Doch nichts könnte weiter entfernt sein von gängigen Orientklischees, als die grandiose Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier. Turban, Eunuch und Haremsdame hätte man von ihnen ohnehin nicht erwartet. Denkmöglich aber war eine kulturelle, religiöse, weltanschauliche und sonstige Differenzen zwischen „Orient“ und „Okzident“ aufgreifende und also belehrend „aktualisierende“ Lesart. Allfällige Befürchtungen in diese Richtung haben Moshe Leiser und Patrice Caurier unterlaufen, ganz einfach in dem sie mit modernen Orientklischees spielen und den „clash of civilizations“ ganz einfach drauflos clashen lassen.

Schmachtet also der Sklaven-Tenor Lindoro in der vergammelten Seitengasse vor vergammeltem Hochhaus – SAT-Schüsseln und Teppiche auf jedem Balkon, Kamel in der Einbahnstraße – nach seiner verlorenen Liebsten. Schöner, als Edgardo Rocha kann das niemand in der westlichen Welt singen… ein wahr- und leibhaftiger Tenore di grazia aus dem Bilderbuch… ein Traumtenor, der selbst hartgesottene Stimm-Freakinnen mit Tendenz zum Nörgeln anbetend in die Knie gehen lässt. Aber dem Araber im dritten Stock geht das sonst wo vorbei. Nur allfällige Mit-Araber im Publikum werden verstanden haben, was da Unflätiges auf den Traum-Schön-Singer im Straßenstaub hinunter gebrüllt wurde. Schmeichelhaft wird es nicht gewesen sein.

Und so ist die gesamte wunderbare Produktion, die am Freitag (18.5.) im Haus für Mozart bejubelte Premiere feierte: Voller Witz. Voller Anspielungen. Voller Frechheiten, die doch alle vom Respekt für die jeweiligen Kulturen und auch für die Gefühle der jeweils schrulligeren Vertreter derselben getragen sind. Der Muezzin etwa ruft, noch bevor der erste Ton Rossini erklingt.

Cecilia Bartoli, seit 2012 Intendantin der „Salzburger Festspiele Pfingsten“, weiß schon, warum sie welche Oper für sich und ihr Festival aussucht. Rossini hat garantiert eine wie „La Bartoli“ im Sinn gehabt, als er als Jungspund 1813 „L’italiana in Algeri“ geschrieben hat. Die Titelrolle erfordert alles, was die Grandiose, die Unverwüstliche, die Bewundernswerte mit lockeren Stimmbändern und schelmischem Lächeln serviert: atemberaubende sängerische Koloraturtechnik und selbstverständliche Schauspielkunst, die keine Schauspielschule je wird lehren können. Dass aber Cecilia Bartoli all das aussingt, ausspielt, sich geradezu austobt mit sichtbarer Lust und hörbarer Freud, ohne sich je als „Star“ in den Mittelpunkt des Geschehens und die anderen beiseite zu drängen, lässt die Göttinnen-Verehrung noch weit über den Gipfel des Sänger-Olymps hinaus wachsen.

Die Rolle der armen Elvira, die ihren Tölpel- und Trampel-Ehemann Mustafà trotz aller Grob- und Gemeinheit noch immer liebt, ist ein wenig undankbar, neben der Primadonna. Rebeca Olvera schenkt der Aufführung im Haus für Mozart kostbare Sopran-Glanzlichter. Und man nimmt es der Person Cecilia Bartoli und ihrer Bühnenfigur Isabella in jedem Moment ab, dass sie dieser Mit-Frau aus einer anderen Kultur höchsten Respekt zollt, und ihr bitter nötiges Selbstbewusstsein vermitteln will. So, liebe Schwestern in Ostens wie in Westens Land, geht #metoo.

Peter Kálmán singt die Partie des armen, von seiner Möchtegern-Potenz (als Vertreter des Sultans und Algier und Schmuggler westlicher Großbildschirme) arg verblendeten Bey Mustafà. Er scheint mit jedem Auftritt eine weitere gefühlte Schicht Bühnenbauch unter dem Feinripp-Unterhemd verpasst zu bekommen. Man/frau muss ihn einfach gern haben. Allein schon wegen des facettenreichen und immer lockerleicht und facettenreich schwingenden Bass-Timbres und dem großen Herz für Frauen über dem noch größeren Bäuchlein.

Apropos Bühnenbauch. Die Brustwarzen der Isabella (von der Rezensentin in der sechsten Reihe genauestens ausgemacht, während die Dame im Bade die Männer kirre macht) sind ebenso kluge Ausstattungsstücke, wie der Staubsauger, den der wunderbare Lindoro mit seinen Rastalocken hinter sich herzieht. Die vergammelte Grandezza des Saals im Hause des Bey, die staubigen Straßen des Algier von heute: Christian Fenouillat, Bühne, und Agostino Cavalca, Kostüme, haben eine echte Welt des Origents auf die Bühne des Haus für Mozart – eindeutig verankert im Okzident - gebracht. Und siehe da: Diese Welten sind kompatibel, wenn man sie nur wursteln lässt.

Die amalgamhafte Verbindung zwischen Ost und West, Liebe und Begehren, Dummheit und Mitleid schuf der musikalische Leiter Jean-Christophe Spinosi am Pult des Ensemble Matheus. Das sind inzwischen wunderbare „alte Bekannte“, die im pfingstlichen Salzburg musikalische Feuerzungen beredten Klanges und vermittelnder Beredsamkeit regnen lassen.

Eine weitere Aufführung heute Sonntag ( 20.5.) - Wiederaufnahme im Festspielsommer am 8. August - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS/Monika Rittershaus