Die Leute wollen, dass es uns gibt

NACHGEFRAGT BEI ANJA CLEMENTI

02/04/20 „Dass wir beide grad nicht arbeiten dürfen, kommt den Kindern zugute.“ Vormittags wird im Hause Clementi üblicherweise geprobt. Dieser Tage wird gelernt – und zwar mit den Kindern. Die Schauspielerin Anja Clementi, Ensemble-Mitglied im Salzburger Off-Theater, hat wie so viele in ihrer Zunft spielfrei.

Von Heidemarie Klabacher

Anja Clementi und ihr Mann Georg, freier Schauspieler, oft und gern gesehener Gast am Landestheater und Leiter des Salzburger Straßentheaters, dürfen die Bretter, die die Welt bedeuten, derzeit nicht betreten. Das kommt den Kindern des Schauspieler-Ehepaares zu gute. „Die Schulen bemühen sich sehr, aber soviel Kontakt zu den Lehrern gibt es dann ja doch wieder nicht.“ Die Eduthek des Ministeriums biete tolles Material, schildert Anja Clementi ihre Erfahrungen aus den ersten Wochen home-teaching. „Aber auch darum müssen sich die Eltern selber kümmern. Und die tun das – oder nicht.“

Eine Familie mit drei Kindern: Der „Große“ will Schauspieler werden. Er habe sich, erzählt Anja Clementi, an den Schauspielschulen von München über Wien bis Graz zur Aufnahmsprüfung angemeldet. „Man man wird ja in der Regel nicht beim ersten Versuch genommen.“ Aber auch Aufnahmsprüfungen dürfen in diesen Wochen nicht stattfinden. „Wir coachen ihn wohl gelegentlich in seinen Monologen, aber er kriegt natürlich kein home-schooling.“

Der Elfjährige und der Siebenjährige dagegen haben „ jeden Tag bei uns Schule“. Der „Kleine“ beackert die Arbeitsblätter von der Klassenlehrerin. Der „Mittlere“ macht e-Learning. Nach der ersten Unterrichtsstunde wird ein wenig ferngesehen: „Aber es muss was Lehrreiches sein, und es gibt ja wirklich tolle Dokumentationen.“ Zwischen zweiter und dritter Schulstunde „werden sie rausgeschmissen und sie müssen sich draußen bewegen... Gefällt mir gut das Coachen.“

Ein Gutes habe sogar die Krise, sagt Anja Clementi: „Wir haben den Schulbeginn unseren Lebensgewohnheiten entsprechend nach hinten verschoben. Wir beginnen um 10 Uhr mit dem Unterricht. Für uns Schauspieler ist es einfach furchtbar, dass die Schule um 8 Uhr beginnt.“

Wirtschaftlich spüren die Clementis natürlich die derzeitige Krise: „Bei uns ist es generell so, dass wir nicht über ein regelmäßiges Einkommen verfügen. Das schwankt von Jahr zu Jahr. Wie fast alle Künstler, passen auch wir in keine Schublade.“ Anja Clementi ist fixes Ensemble-Mitglied des Off-Theaters und nur selten an anderen Häusern tätig, etwa im Landestheater. Ihr Mann Georg dagegen arbeite „viel am Landestheater, aber eben als Gast und nicht fix im Ensemble“. Er lebe hauptsächlich von „freier Tätigkeit als Ein-Mann-Unternehmen“. Dazu komme das von ihm geleitete Salzburger Straßentheater, „von dem wir noch nicht wissen, ob es stattfinden kann“.

Die Clementis sind kein Einzelfall unter Künstler-Ehepaaren: „Wir sind sogar ziemlich exemplarisch, weil wir alles abdecken, vom fix angestellten Ensemble-Mitglied bis zum ganz frei Tätigen.“ Genau diese Bandbreite verbunden mit verschiedenen Arbeitgebern und unterschiedlichsten Dienstverhältnissen mache es in diesen Tagen nicht leichter, finanzielle Unterstützung zu beantragen. „Wir sind am Recherchieren, suchen um Hilfe an, wo es möglich ist – und müssen ohnehin abwarten und schauen, was wirklich herauskommt.“ Sagt Anja Clementi, um im gleichen Atemzug zu betonen: „Wir sind noch nicht verzweifelt. Es gibt viele rein frei schaffende Künstler in viel prekäreren Situationen.“

Das Off-Theater in Schallmoos, wo Anja Clementi nicht nur als Schauspielerin arbeitet, sondern auch für Disposition und Organisation zuständig ist, habe Kurzarbeit beantragt. „Wir sind am Off-Theater zwar alle angestellt, aber niemand erhält dort ein Gehalt, von dem er leben kann. Alle Mitarbeiter haben noch mindestens einen Zweitjob, der natürlich jetzt auch größtenteils wegfällt.“ Finanziell stand das Off-Theater vor Beginn der Krise sogar recht gut da. „In den letzten Monaten waren wir immer ausverkauft. Da lief es endlich wirklich gut und jetzt...“

Das Off-Theater, allen voran Prinzipal Alex Linse, ist den Subentionsgebern dankbar. „Ich habe das Gefühl“, sagt Anja Clementi, „man ist uns sehr zugetan bei Stadt und Land Salzburg. Aber wir müssen natürlich viel selbst erwirtschaften.“ Zugetan ist dem Off-Theater offensichtlich auch sein Vermieter: „Er hat gesagt, wir sollen die Miete zahlen, solange wir können, und dann schauen wir, dass beide Seiten gut aus der Krise herauskommen...“ Niemand könne sagen, „wie es anläuft, wenn wir wieder spielen dürfen“. Niemand könne abschätzen, „wie lange es dauert, bis wir wieder ausverkauft sind“. Tatsächlich könne sie als für den Spiel- und Probenplan Verantworliche derzeit nicht einmal einen provisorischen Spielplan machen: „Ich weiß ja nicht, wer dann wann für welche Projekte zur Verfügung steht.“ Die Premiere am 23. April wurde jedenfalls komplett abgesagt: „Die Stunde der Dilettanten können wir auch nicht nachholen.“ Ob das Ensemble für die erste Herbst-Premiere noch im Frühsommer zu proben beginnen kann, ist ungewiss. Ein Lichtblick in der Ungewissheit: „Das Theaterfestival, das nicht stattfindet ist ein Renner“, erzählt Anja Clementi. „Schon einen Tag nach dem Aufruf zu Abgesagt hatten wir tausend Euro!“ Das macht – Krise hin, Absagen her – ein gutes Gefühl: „Die Leute wollen, dass es uns gibt.“

Bilder: Franziska Maria Reis (1); Off-Theater/Mark Prohaska (3)
Zum Stich-Wort To be or not...