Weltuntergang? Wenn ja, wann?

INTERVIEW / SEBASTIAN LINZ / OPEN MIND FESTIVAL

06/11/19 Die Welt ist voll mit Abgesängen auf irgendwas. „Seit Donald Trump wird die Demokratie verabschiedet. Aber Salvini ist weg, die FPÖ abgewählt und das Impeachment kommt vielleicht.“ ARGEkultur-Leiter Sebastian Linz fragt sich selbst und sein Publikum: „Geht die Welt wirklich unter mitsamt Pressefreiheit und Menschenrecht? Oder steigen wir auf solche Szenarien ein, weil sie gerade schick sind?“

Von Heidemarie Klabacher

Bey Demokratie. Bey Bey Anstand und Moral. Bey Bey Rechtsstaat. Bey Bey Liberalismus. Bey Bey Wachstum... Es ist eine kunterbunte Liste an Abschieden, die dem Open Mind Festival zum Thema Bey Bey Everything? voransteht. Das Fragezeichen im Titel wird von 14. bis  23. November beinah das Wichtigste sein: Das Publikum ist einladen, möglichst alles in Frage zu stellen.

Heißt es wirklich Abschied nehmen von der Demokratie? Wenn ja, von welcher „Demokratie“? Was heißt „Wachstum“? Ist es wirklich segensreich – und wenn ja, für wen – immer weiter und weiter zu wachsen, wie die Dinosaurier? Vom „Liberalismus“ würde sich vielleicht der eine oder die andere gerne verabschieden. Aber von der „Meinungsfreiheit“? Und wer bitte gibt vor, was „Anstand“ ist und was „Moral“?

„Genau das ist der Punkt“, sagt Sebastian Linz im Gespräch mit DrehPunktKultur. Man lese ständig von Angriffen auf 'unsere' Demokratie, auf 'unsere' Werte und sei versucht, einzustimmen: „Aber ist es für viele dieser Abgesänge nicht doch noch zu früh?“ Es gehe vor allem darum, diese Fragen zu diskutieren - künstlerisch und ironisch. „Danach sind wir vielleicht ein wenig schlauer oder auch nicht. Aber wir hatten wenistens eine gute gute Zeit...“

Auf jeden Fall Abschied nehmen wolle man vom Heimatbegriff. „Es sicher was total Strittiges, besonders in Österereich, über Heimat zu diskutieren“, betont Sebastian Linz, der zusammen mit Ko-Kuratatorin Theresa Seraphin dem Heimatbegriff immerhin eine eigene Veranstaltung widmet. Gesucht werde, so Linz, „ein Konzept das alle Menschen mit-meint, „ob jüdisch, muslimisch, schwarz, weiblich, queer, nicht-binär, arm und/oder mit Behinderung“. Er selber, als „weißer Mann, der sicher da nicht mitgemeint ist“ werde den Abend moderieren „auch um selbst vielleicht etwas herauszufinden“.

Wie reagiert nun das Publikum der ARGEkultur, auf diese Herausforderung eines Programmes mit quasi doppeltem Boden? „Es gibt nicht DAS Publikum der ARGEkultur. Niemand kommt bei uns vorbei, um mal zu schauen, was denn so läuft“, sagt Sebastian Linz und blickt zurück in die Zeit weit vor seiner Intendanz, als nach Pleiten, Umzug und Neuausrichtung vor allem das „Projekt gesund werden“ im Mittelpunkt gestanden sei: Um Publikum zu lukrieren wurde im Marketing „zielgruppen-spezifisch gearbeitet“. Wer sich etwa für Kabarett interessierte und den Newletter bestellte, bekam die letzten 15 Jahre ganz spezifisch nur Kabarett-Information. „Das war schon fast eine Filterblase“, sagt Sebastian Linz. „Es gibt einen großen Teil des Publikums, das bisher nicht wahrgenommen hat, dass es in der ARGEkultur auch was anderes gibt als Kabarett.“ Er versuche daher, die Publikümer langsam miteinander zu verschmischen: „Beim letzten MotzART Festival gab es im Foyer die (humoristisch-ironische; Anm.) Möglichkeit zum Website-Zerstören“, erinnert Linz. Ein Besucher habe zunächst lautstark proklamiert, das hätte mit Internet zu tun und interessiere ihn nicht, „und in der Pause hat dieser Gast mit Begeisterung an dem Ding herumgedaddelt“. Genau darum ginge es ihm, betont Linz: „Die Interessen zu kreuzen.“

Auch das Open Mind Festival besteht keineswegs nur aus Reflexions-Veranstaltungen. Die Bey Bey Session Save or Grave etwa ist ein Planspiel zu Klimawandel, Fakenews, Seenotrettung und Freihandel, dauert von 15 Uhr Nachmittag bis 5 Uhr Früh und besteht aus Experten-Gesprächen ebenso, wie aus miteinander Essen und DJ-Auftritt: „Das ist total lustvoll. Hochschwellig von dem was man tun muss, niederschwellig vom Eintrittspreis.“

Im Eröffnungskonzert The Horror werden vom Musiker Konstantin Gropper alias Get Well Soon vielfältigste Ängste mittels großem Pop im „Alpraumhaften gefasst“. MOTHERS OF STEEL dagegen beweinen in ihrer schrägen Performance eine Stunde lang auf offener Bühne, was in ihren Herkunftsländern Polen und Rumänien an zentralen Punkten der Geschichte einst kollektiv beweint wurde. Ein Höhepunkt ist für Sebastian Linz die Österreichpremiere des Künstler-Kollektivs Markus&Markus: Mittels der Vermischung von totalem Trash und der berührenden Dokumentation der letzen Tage einer Sterbenden setze sich das Kollektiv mit der Frage nach dem Recht zum selbstbestimmten Sterben auseinander: Der Tod als radikalster Abschied und ultimative Veränderung.

Die großen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, wie etwa auch die Umwälzugen im Bereich des Digitalen konfronieren uns alle letztlich mit einer einzigen Frage: „Wie steht man zu diesen Veränderungen?“ Genau dieser Frage will das Open Mind Festival nachgehen.

Angst und Hoffnung seien, so Linz, die beiden Möglichkeiten, auf Veränderung zu reagieren. Einander gegenüber stünden „Dystopie“ und „Utopie“. Vereinfacht gesagt: Es konkurrieren miteinander Geschichten mit schlechtem Ausgang und Geschichten mit eher guten Ausgang irgendwo in der Zukunft. Darüber sinniert die Philosphie seit der Antike. Heutzutage stünden einander zwei Positionen gegenüber: „Utopie ist eigentlich schlecht, weil sie falsche Hoffnug weckt und untätig macht. Dystopie dagege weckt auf zum Handeln.“ So umschreibt Sebastian die eine Position. Die zweite Postion betone dagegen das Positive der Utopie: „Utopie ist gut. Aus ihr wächst die Hoffnung auf die Gestaltbarkeit von Zufkunft.“

Open Mind Festival von 14. bis  23. November - www.argekultur.at
Bilder: dpk-klaba; www.argekultur.at