Spiegel im Spiegel?

DIALOGE / DE TERRA FINE

29/11/13 Ein „gespiegeltes“ Programm – Haas und Ives umrahmt von zwei Mozart-Pretiosen –, das freilich erst im zweiten Teil zu strahlen und zu leuchten begann, präsentierten die Geigerin Carolin Widmann, der Pianist Cédric Tiberghien und das Quatuor Diotima.

Von Heidemarie Klabacher

442Aus der perfekten Programmsymmetrie – Klavierstück, Sonate, Streichquartett, Streichquartett, Sonate, Klavierstück – heraus gefallen und damit quasi ins Zentrum gerückt ist „De terrae fine“, das 2001 komponierte große Werk für Violine Solo von Georg Friedrich Haas, das dem Abend den Titel gegeben hat.

Carolin Widmann brachte zunächst die tiefen teils auf Obertonreihen basierenden Töne des ersten Teils mit reichem Timbre zu soghafter Wirkung. Sie arbeitete sich weiter mit Energie jede einzelne der in sich kreisenden Schleifen auf immer schier noch kleiner werdenden Tonstufen entlang und gab unverdrossen jedem der unzähligen winzigen Glissandi im letzten Abschnitt einen markanten kleinen Impuls – ohne freilich dem Stück den Charakter einer akademischen Studie ganz nehmen zu können.

Cédric Tiberghien hat den Abend eröffnet – mit Mozarts Rondo für Klavier a-Moll KV 511 – und hat zweieinhalb Stunden später ebenfalls mit Mozart die Zeit stehen lassen: Das Adagio für Klavier h-Moll KV 540 ist eines jener Werke Mozarts, die – wenn technisch so virtuos und interpretatorisch so expressiv artikuliert wie von Cédric Tiberghien – beinah ein wenig an Schubert erinnern. Da schwebt etwa kleine Melodie über perlenkollernd zerlegten Akkorden, ein Augenblick Klassik pur. Und im nächsten Moment öffnet sich mit einem Moll-Akkord ein beinah schon auf die Romantik voraus weisender Abgrund. Cédric Tiberghien hat dieses, wohl zu den am feinsten geschliffenen Diamanten im Schatzhaus Mozart zählenden, Meisterwerk mit virtuoser Technik und einem mitreißenden Gespür für die feinsten Linen zelebriert.

441Leider hat nur mehr ein Teil des Publikums diese kurze Mozart-Sternstunde miterlebt, zu strapaziös war offensichtlich für viele Zuhörer der überlange erste Teil. Ihnen ist auch die charmante zwischen Volksliedton und Jazz-Duktus munter pendelnde Sonate für Violine und Klavier Nr. 4 von Charles Ives  entgangen: Carolin Widmann und Cédric Tiberghien haben dieses Werk mit heiter federndem Musikantentum hingelegt, während im ersten Teil des Abends Mozarts Sonate für Klavier und Violine Es-Dur KV 481 eher beiläufig, mit gar nicht geringen Intonationstrübungen im Violinpart, bald vorüber gegangen ist.

Zwei Streichquartette gespielt vom Quatuor Diotima bildeten die „Spiegelachse“ dieses Abends: Mit Charles Ives Streichquartett Nr. 2, einem klangsinnlich en Werk, das sich musikantisch ungeniert – auch mit oft deutlich herausgestrichenen kleinen Motiven aus bekannten Werken - quer durch die Musikgeschichte zitiert, endete der erste Teil es überlangen Abends (der, wie schon der Eröffnungsabend, entgegen dem Festival-Motto „Licht“ ebenfalls in ermüdendem Halbdunkel ablaufen musste). Danach hat das Quatuor Diotima dann Licht ins Halbdunkel gebracht – und das 6. Streichquartett von Georg Friedrich Haas quasi erstrahlen lassen: Yun-Peng Zhao, Guillaume Latour, Franck Chevalier und Pierre Morlet haben mit schillerndem flirrenden Glanz die Haas’schen mikrotonalen Strukturen und Obertonreihen dem Publikum so nahe gebracht, wie die Themen, Durchführungen oder Variationen eines jeden anderen „Klassikers“ der Streichquartett-Szene.

Bilder: ISM/Wolfgang Lienbacher