Mozart, Klezmer und die Seele der Klarinette

KULTURVEREINIGUNG / HELSINGBOR SYMFONIORKESTER

17/01/13 Urtümlichste Aufgabe von Musik war es wohl, die Menschen auf die(Tanz-)Beine zu bringen. Daran erinnert der famose Klarinettist Martin Fröst, und er erledigt die Sache gleich stellvertretend fürs Publikum, das im Konzertsaal im Regelfall ja von den Stuhlreihen am Tanzen gehindert wird.

Von Reinhard Kriechbaum

Fangen wir doch zur Abwechslung mal mit den Zugaben an, von denen es am Mittwoch (16.1.) im Großen Festspielhaus, im ersten der drei Kulturvereinigungskonzerte mit dem Helsingbors Symfoniorkester, in Summe gleich drei gab. Mit jener Klezmer-Paraphrase zum Beispiel, die der famose schwedische Klarinettist nicht nur vorgespielt, sondern vorgetanzt hat. Wie er da mit seinen spinnenlangen Beinen trippelt und zwischen Absatz und Ferse wippend fast die Bodenhaftung verliert, wie sich sein Körper wie eine elastische Sprungfeder spannt, könnte das einen Tauben die urtümliche Kraft und die hypnotische Verführungskunst solchen Musizierens spüren lassen.

Wir, die Hörenden, hatten zu dem Zeitpunkt das Staunen schon gelernt: Denn zuvor hatte Fröst ja Mozarts Klarinettenkonzert hören lassen. Auch da hat er nicht gespart mit körpersprachlichem Totaleinsatz, gestalterisch zugleich aber auch auf ein raffiniertes Understatement gesetzt. Eine aufschlagende Zunge, so steht’s in der Instrumentenkunde über die Klarinette. Bei Martin Fröst steckt man die schnöde Physik augenblicklich weg, denn sein Ton ist von einer geschmeidigen, streichenden Struktur, gerade so als ob er von Stimmlippen erzeugt würde. Wie radikal leise Fröst im langsamen Satz in die Themen-Reprise zurückführt, in die sattsam bekannte „Jenseits von Afrika“-Melodie! Da riskierte er alles, sogar den (einzigen) Kickser des Abends. Mozart habe die Seele der Klarinette entdeckt, sagte Fröst – und hat uns genau das wirklich fühlen lassen.

Fabelhaft hinter-sinnig wurde das Mozart-Konzert gestaltet, nicht nur von ihm, sondern auch vom klein besetzten Helsingbors Symfoniorkester unter der Leitung von Andrew Manze. Da und dort kommen ja auch in unserer Turbo-Zeit internationalen Musiker-Austauschs die richtigen Musiker an den richtigen Dirigenten, und dann kommt es plötzlich – sogar in der südschwedischen Provinz – zu einem Schub von herausragender Disziplin, Qualität und musikalischer Eigenart. Das Helsingbors Symfoniorkester ist traditionsreich (heuer hundert Jahre alt, und auch früher deutlich geformt von formidablen Kapellmeistern wie Okko Kamu) und wirkt doch überaus jung, sowohl an den Streicher-, vor

Andrew Manze ist groß geworden in führenden Positionen von Ensembles wie der Academy of Ancient Music und The English Concert. Er setzt seine Erfahrungen aus der Originalklangbewegung nachhaltig, aber undogmatisch um. Am Deutlichsten wird das, wenn scheinbar „Romantisches“ neu gelesen wird: Ases Tod aus Edvard Griegs „Peer Gynt“-Suite kommt schlackenlos, mit sparsamem Vibrato. Wo die Streicher sonst ein dickliches Sforzato ansetzen im melodischen Fluss, regt Andrew Manze (selbst ein Geiger) schlanke Akzente an. Dieselbe liebevolle Aufmerksamkeit schenkt er den Bläsern, in variantenreichen Artikulationen und in genau gelenkten (und geprobten!) Tempomodifikationen. Fast bedächtig steigt Andrew Manze hinunter ins unterirdische Reich, bis es in der „Halle des Bergkönigs“ so richtig losgeht. Beethovens „Pastorale“ nach der Pause: Akkurat durchgezeichnet mit bekennendem Hang zur Lyrik, durchdacht, erfühlt – und mit ganz erstaunlicher Spieldisziplin umgesetzt.

Unter den Zugaben eine wundersam fein angelegtes, impressionistisch ausgemaltes Stück aus der Serenade von dem Schweden Wilhelm Stenhammar (1871-1927). Von ihm wird man im Freitag-Konzert (18.1.) eine Symphonie hören – und nach dieser zurückhaltenden Canzonetta im Walzertakt mag in manchem Konzertbesucher die Neugier aufs symphonische Ganze gewachsen sein.

Heute Donnerstag (17.1.) spielt der famose Klarinettist Martin Fröst das „Concert Fantastique“ von dem schwedischen Zeitgenossen Rolf Martinsson, und mit „Camelopardalis“ der jungen Andrea Tarrodi gibt es eine weitere Kostprobe für schwedische Musik der Gegenwart. Am Freitag (18.1.). Dann wieder Peer Gynt und Mozarts Klarinettenkonzert, und danach die Symphonie Nr.2 g-Moll op. 34 von Wilhelm Stenhammar. - www.kulturvereinigung.com
Bilder: SKV
Zum Porträt Martin Fröst Ausgerechnet Salzburg