Zu Beginn betrat Gidon Kremer allein das Podium und gedachte eines an eben diesem Allerseelentag verstorbenen Freundes, des Dirigenten Juri Temirkanow (geb. 1938). Dar langjährige Chef der St. Petersburger Philharmoniker war übrigens kein Russe, sondern gehörte der Volksgruppe der Kabardiner im Nordkaukasus an. Die spielt eine Hauptrolle im 2. Streichquartett Prokofjews, welches am 5. November im Orchesterhaus im Abschlusskonzert des Festivals erklingen wird. Viele Völker gab es im „west-östlichen“ Verbund des Zarenreichs und der Sowjetunion, viele strebten und streben nach Freiheit. Die lyrische Serenade des Ukrainers Walentyn Sylwestrow erklang in wundersamer Verinnerlichung.
Ein überaus komplexes Stück wie die Sonate für zwei Violinen von Mieczysław Weinberg erfordert perfektes Zusammenspiel, für welches Madara Petersone und Gidon Kremer sorgten – wobei die Geigerin oft mit leuchtendem Ton die feine Klangsensibilität des Geigers bestens kontrastierte. Ein spannendes Zwiegespräch ergab sich, im Mittelteil auch ein schöner Zwiegesang. Dann trat Georgijs Osokins ans Klavier und machte mit technischer Souveränität und vielen Ausdrucksakzenten völlig klar, dass es sich bei Wolfgang Amadé Mozarts KV 481 um eine brillante Sonate „für Fortepiano und Violine“ handelt und nicht umgekehrt. Dabei schaffte er es, die gleichsam pointiert ausgemalten Beiträge Kremers nie zuzudecken.
Nach der Pause erfreuten Kremer und Madara Petersone mit Alfred Schnittkes „Moz-Art“ in der Urfassung als „Spiel mit Musik für 2 Violinen“, welches anno 1975 im Neujahrskonzert des Moskauer Konservatoriums das eher dürre Fragment der Faschings-Ballettpantomime KV 416d frech, aber liebevoll zu ungeahntem Leben erweckt hatte. Der Auftraggeber und Uraufführungssolist war – Gidon Kremer.
Wenn ein Komponist der Moderne Kinderstücke für Klavier schreibt, dann hat er sicher Schumann, Debussy und Bartók studiert, im Falle Weinbergs aber auch Prokofjew und Kabalewski. Jedenfalls machte die Auswahl aus dem frühen op. 16 großes Vergnügen. Noch dazu ließ der famose Georgijs Osokins diese inspirierten Charakterstücke zwischen Naivität und großer romantischer Gebärde in einer exquisiten Mitte schweben. Als tief berührendes Finale folgte Weinbergs 4. Violinsonate op. 39 aus dem Jahr 1947, die schon als Meisterwerk gelten darf. Der verehrungswürdige Gidon Kremer und sein kongenialer Klavierpartner loteten die Traurigkeiten und die trotzige Vitalität dieser leise verklingenden Tondichtung für zwei Instrumente vollendet aus. Doch wie schön, dass danach drei Filmmusikstücke für zwei Geigen und Klavier von Weinbergs Mentor und Freund Schostakowitsch die umjubelte Zugabe bildeten. Einfach eine Gavotte, ein Walzer und eine Polka, voll luzider Ironie und doch voll der Hoffnung auf Lebensfreude, Freiheit und Frieden.