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Stimmen, die der Tag verschlang

BACHCHOR / UNHEIMLICHE NACHT

07/11/22 Aus dem engeren Lese- und Bildungskanon ist das bizarr anmutende Werk von E.T.A. Hoffmann verschwunden. Aber kann man Romantik überhaupt verstehen ohne diesen Schriftsteller? Der Bachchor Salzburg hat in seiner Reihe #chorage auf Musik und Literatur in Sachen Unheimliche Nacht gesetzt.

Von Reinhard Kriechbaum

Goethe zitierte in einem Text über Hoffmann sehr divergierende Urteile von Zeitgenossen über den Dichter-Kollegen. „Verrücktheiten eines Mondsüchtigen“ vermeinte einer in dessen schriftstellerischem Werk zu erkennen. Ein anderer würdigte E.T.A. Hoffmann, dieser habe „teilgenommen an der Erfindung der romantischen Musik“. Irgendwie hatten beide recht. Keine Frage: Wenn einer so farbenreich vorliest wie Miguel Herz-Kestranek, dann hört man gerne zu.

Den Versuch der Jungfer Veronika, ihren in magische Zirkel abgeglittenen Geliebten Anselmus mit Hilfe der Zauberkünste einer Hexe zurückzuerobern – das kann man abtun als als reichlich überhitzte Schauerromantik. Oder man lässt sich eben ein auf die dichterischen Manierismen als Ausdruck eines überhitzten Lebensgefühls, als Pendelschlag weg vom Klassizismus, ins andere Extrem. Die Chormusik dieser Epoche ist uns nicht minder fremd geworden.

Die Ecken und Kanten romantischer Werke etwa der Mendelssohn-Schwester Fanny Hensel oder von Robert Schumann kommen sehr deutlich heraus, wenn man das so angeht wie der Bachchor unter der Leitung von Benjamin Rapp am Freitag (4.11.) im Solitär (und tags darauf in Saalfelden): Ganz ohne Vibrato, meilenweit weg vom wabernden Liedertafel-Stil, den man viel eher mit romantischer Chormusik verbindet. Der Preis ist, dass heutige Zuhörer das eben als tendenziell sperrig empfinden. All die textlichen Irrlichtereien der Poesie eines E.T.A. Hoffmann stecken auch da drin. Ungewisses Licht heißt ein Chorsatz von Schumann – solch romantische Ungewissheit reizte noch Generationen von Komponisten bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein. Max Reger (1873-1916) hat in Schweigen (nach einemText von Gustav Falke) die Harmonik endzeitlich überladen. Reger taugt diesbezüglich allemal als Schreckgespenst, nicht nur mit seinen Orgel-Ungetümen. Andrerseits: Sein volksliedhaft gefasstes Ich hab die Nacht geträumet hat auch Sinnlichkeit, ja Charme.

Der Bachchor Salzburg ist seit dem Weggang von Alois Glaßner in einer Orientierungsphase. Man arbeitet projektweise mit unterschiedlichen Chorleitern. Mit dem Schweizer Benjamin Rapp wirde ein assoziationsreich geknüpftes Programm zum Thema Nacht zusammengestellt. Reizvoll die fast dadaistische Miniatur Éjszaka von György Ligeti, lautmalerisch Shakespeare-Sonette von dem finnischen Zeitgenossen Jaakko Mäntyjärvi. Harmonisch vielgleisig die Eichendorff-Vertonung  Zwielicht von Hans-Martin Linde. Die Werkfolge war gespickt mit Schwierigkeiten. Benjamin Rapp hat sich gestalterisch vor Überzeichnungen gehütet.

Am Schluss E.T.A. Hoffmann als Komponist mit einem knappen, archaisch anmutenden De profundis. Irgendwie wäre der Abend ergiebiger gewesen, hätte man das Programm wirklich auf die engere Romantik zentriert. Dann wäre man vielleicht als Hörer besser hineingekommen in – wie es im Stück Falke/Reger heißt – die „Stimmen, die der Tag verschlang“.

www.bachchor.at
Bilder: www.benjaminrapp.ch/Markus Räber (2); www.herz-kestranek.com/guentheregger.at 

 

 

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