Mummenschanz der Verwesung

SONNTAGSMATINEE / MOS / HUSSAIN

07/11/22 La Valse. Wie das mit dem Mozarteumorchester klingt, denkt man im Traum nicht mehr an eine Walzer tanzende Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts. Vielmehr drängen sich Bilder vom traumatischen Ende einer Ära auf.

Von Erhard Petzel

Das Mozarteumorchesters bei der Sonntagsmatinee im Großen Festspielhaus unter dem Motto Im Rausch des Tanzes. Tanz allerdings weniger verstanden als dionysische Kategorie denn persönliche Reflexion des Künstlers auf seine gesellschaftlichen Umstände: Tanz auf dem Vulkan.          

Drei prototypische Vertreter der klassischen Moderne – Ravel, Gershwin, Rachmaninow – werden unter der unbestechlichen Stabführung von Leo Hussain aufgeboten. Stilistisch wie inhaltlich gibt es Beziehungen. Das widerborstigste davon steht zu Beginn: La Valse von Maurice Ravel ist nicht einfach eine Auseinandersetzung mit der stolz geschönten Epoche des ausgehenden Habsburgerreiches: Zwischen den ersten Plänen dazu und den Klavierfassungen liegt der Erste Weltkrieg. Die Orchesterfassung wurde für das Ballett des Choreographen Diaghilev eingerichtet, der 1920 eine Umsetzung aber ablehnte. Zu düster?

So wie es mit dem Mozarteumorchester am Sonntag (6.1.11.) ertönt, denkt man auch nicht „Alles Walzer!“ Gespenstisch grummelt der tiefe Beginn wie in einer Horrorfilmmusik. Wie eine Quetschkommode klingt es aus der Ferne, bevor endlich ein Thema aufwalzt, das gleich ins Absurde überzeichnet wird. Dabei bleibt die dekadente Eleganz erhalten. Die Klangfarben sind exquisit abgemischt und die Cassa-Einbrüche brüllen gerade grob genug. Aus kläglichem Retardieren beschleunigt die Klangmasse in die Implosion. Elegantes Federn verstärkt den Eindruck der Grauslichkeiten, die als diffizile Instrumentations-Attitüden den Mummenschanz einer versunkenen Welt in Verwesung malen, die sich ins eigene Grab geschaufelt hat. Das finale Grandioso als Aufschrei stürzt in ein Furioso aus Chaos und Wahnsinn. Welch ein Bann schauerlicher Spannung durch ein Orchester.

Fast ganz anders und doch nicht unähnlich. Gershwins Konzert für Klavier und Orchester F-Dur Er, der von der Musik europäischer Zeitgenossen besessen ist, zeigt hier seine Fortschritte in der Instrumentierung, ein selbst gesetzter Schlüssel dafür, als ernst zu nehmender Komponist zu gelten. Auch hier eine Einleitung aus der Tiefe, in Sequenzen aufgebaut und mit perfekten agogischen Bögen gestaltet. Darauf ein intimes Klaviersolo des Solisten Boris Giltburg. Eine Streicherwolke gesellt sich hinzu. Die grüblerische Überleitung führt in ein abwechslungsreiches und lustvolles Geflecht zwischen Klavier und Orchester zwischen Ragtime, Breitwand-Sound und abstrakten Tänzen mit Gegenrhythmen. Beredt entwickelt Leo Hussain im rhapsodischen Dialog liebliche Klanglandschaften, markant gezeichnet die Kontraste. So viel Rag wie möglich am Ende des ersten Satzes – das erzwingt förmlich den Zwischenapplaus.

Elegisches Holz führt zum Trompeten-Solo-Blues des langsamen Satzes. Mit dem leichtfüßigen Klavier Giltburgs beglücken in der eleganten gemeinsamen Kommunikation feinsinnige Rubati. Die Register dürfen blühen, besonders am ätherischen Schluss nach großem Drama. Im dritten Satz denkt man an einen amerikanischen Hummelflug, aber auch Pacific 231.

Nun denkt man, Boris Giltburg wäre mit seinem Klavierpart hinlänglich gefordert worden. Bei gleich zwei Draufgaben dreht er dann wirklich auf – was immer das für Teufelszeug nicht unter Liszt plus Rachmaninow gewesen sein mag.

Zum Abschluss das späteste der Werke, die Symphonische Tänze op. 45 von Rachmaninow, 1941 in den USA aufgeführt. Glatter als Ravel, durchgehend depressiv in der Grundstimmung. Wie in der Symphonie fantastique hört man das Dies irae, klappern die Knochen zum Hexensabbat. Das Schlussfugato in die finale Stretta klingt mit Gongschlag aus... Alles präzise, musikantisch, farbig. Reicher Applaus für dieses bereichernde Programm in beglückender Qualität. PS an alle Halloween-Chaoten: So erreicht Gruseliges seinen Gipfel.

Bilder: MOS / Pia Clodi; Sasha Gusov