Viren speiende Infektions-Drachen?

HINTERGRUND / CHORSINGEN

02/06/20 Nach mehr als elf Wochen Pause dürfen Chöre ihre Proben- und Konzerttätigkeit seit vergangenen Freitag wieder aufnehmen. Und wie steht's um die Aerosole und damit verbunden um die Infektionsgefahr? Das wollte der Chorverband Österreich genauer wissen.

Von Reinhard Kriechbaum

Es war noch vor dem allgemeinen Shutdown, da trafen sich im Berliner Dom achtzig Sänger zur Probe, in einem 120-Quadratmeter-Raum. Dreißig von ihnen haben sich an diesem Abend nachweislich mit Covid-19 angesteckt, aber es wurden bei weitem nicht alle Sängerinnen und Sänger getestet. Kantor Tobias Brommann sagte später in einem Zeitungsinterview, dass weitere dreißig Chormitglieder „die typischen Symptome von Fieber bis Geruchs- und Geschmacksveränderungen“ gehabt hätten.

Welche Gefahr droht also wirklich? Der Chorverband Österreich hat eine Untersuchung durch die MedUni Wien in Auftrag gegeben. Da wurde erstmals auch fotografisch festgehalten, wie sich Aerosole während des Singens in der Luft verbreiten.

„Internationale Studien gehen davon aus, dass Singen nicht gefährlicher ist als Sprechen“, erklärt Chorverbands-Präsident Karl-Gerhard Straßl. „Wir wollten uns mit diesem Experiment selbst ein Bild vom Aerosol-Ausstoß und damit vom möglichen Risiko beim Singen, mit und ohne Maske, machen,“ ergänzt Straßl.

Zur Untersuchung lud der Chorverband Österreich sowohl semiprofessionelle Chorsängerinnen und -sänger der Wiener Singakademie (Leitung: Heinz Ferlesch) als auch der Wiener Sängerrunde (Leitung: Karl-Gerhard Straßl) für den Amateurbereich ein, die ohne Maske, mit Mund-Nasen-Schutz und mit Gesichts-Visier („Face Shield“) sangen.

Leiter der Untersuchung war Univ.-Prof. Fritz Sterz, auf dessen Visitenkarte die schöne Berufsbezeichnung Performing Arts Medicine Physician steht, beschreibt, dass sowohl beim ruhigen, der Norm entsprechenden Aus- und Einatmen als auch beim Singen, welcher Art auch immer, eine Aerosolwolke von 0,5 Meter - um den Kopfbereich verteilt – unverändert bleibe. „Die Ausdehnung – vor allem nach vorne hin (…) – erstreckte sich bis maximal 0,9 Meter, bei gewissen Sing-Techniken allerdings mit vermehrter Wirbelbildung.“ Logischerweise konnte vor allem durch Mund-Nasen-Schutz-Masken, welcher Art auch immer, die Ausdehnung dieser Wolke signifikant eingeschränkt werden“, so Fritz Sterz weiter in seinem Bericht.

Im Ergebnis betont Sterz: „Eine Ausdehnung der Ausatemluft bei ChorsängerInnen von mehr als einem Meter ist nicht zu erwarten.“ Freilich solle „tiefes Ein- und vor allem Ausatmen“ vermieden und „das Tragen einer Mund-Nasen-Maske bei Ausübung der Profession überlegt“ werden.

Der Chorverband Österreich empfiehlt jetzt jedenfalls beim Singen die Einhaltung eines Abstands von 1,5 Metern und „wirkungsvolles Lüften“ der Probenräume.

Der Salzburger Domchor hat die Sache am Pfingstsonntag so gelöst, dass sich die Sänger mit nötigem Abstand auf den sonst ungenutzten Langhaus-Balkonen versammelten. Man sang die doppelchörige Missa octo vocum von Hans Leo Haßler: eine salomonische Musik-Wahl, die in dieser Aufstellung Stil- und Hygiene-Fragen schlüssig beantwortet hat.

Zur Untersuchung und fotografische Dokumentation von Aerosol- und Kondenswasseremission bei Chor Mitgliedern der Medizinischen Universität Wien im Auftrag des Chorverband Österreich.
Auf der Homepage des Chorverbands Österreich gibt es auch aktuelle Richtlinien für Chöre – www.chorverband.at
Bilder: Chorverband Österreich/Studie