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Varvara, die Unvergessliche

VARVARA / KONZERT / MOZARTEUM

15/05/19 Sie tritt unter ihrem Vornamen auf. Varvara gastierte am 14. Mai im Wiener Saal mit einem langen, fordernden, vielfältigen Programm. Ein Abend voll intensiver Klavierfarben, voll Energie und Brillanz, voll eigener Persönlichkeit und hinreißender Spiellaune.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die 1983 in Moskau geborene, international erfolgreiche Pianistin ist in der Tat unvergesslich, denn ihr in der Biografie verratener Zuname "Nepomnyashchaya" bedeutet auf Deutsch so viel wie „Die Unvergessliche“. Die schlanke junge Frau mit den leuchtend rotbraunen Haaren spielt im ersten Teil ihres Recitals eine geschlagene Stunde lang Mozart. Schon in der einleitenden, fragmentarischen, unglaublich modernen c-Moll-Fantasie KV 396 ist kein lieblicher Amadeus vorhanden, dafür regiert der visionäre Wolfgang Amadé, mit scharfen Ecken und Kanten und expressivem Gefühl.

Die später vom deutschen Weihnachtsmann okkupierten, in Wahrheit köstlich frivolen Variationen über das französische Rokoko-Chanson Ah vous dirai-je, maman, in dem ein Mädchen ihrer Mutter ihr erstes Liebesabenteuer gesteht, perlen nur zwischendurch im empfindsamen Stil. Varvara zeichnet mit Detailfreude süß verschämte Erotik und profunde Variationstechnik nach. Danach die andere, noch kühnere c-Moll-Fantasie KV 475 und die dramatisch akzentuierte c-Moll-Sonate KV 457 – Stücke, die zusammen gehören, ja von Mozart in Zweisamkeit veröffentlicht wurden. Die Frau am Flügel lässt Mozarts große Freude vermuten, die er bei der Arbeit an einem Steinway sicher gehabt hätte.

Da prescht ein leidenschaftlicher Musiker direkt in die große Romantik vor und lugt mitunter gleich in die Moderne. Varvaras Mozart-Spiel ist kraftvoll, energisch zupackend, dennoch schlicht: in sich stimmig und zeitlos.

Nach der Pause noch eine Stunde Musik, die wie im Flug vergeht. Igor Strawinskys anno 1942 in London von nicht weniger als 50 Elefanten in rosa Tutus und ebenso vielen Tänzerinnen getanzte Circus-Polka für einen jungen Elefanten macht gehörig virtuosen Krach. Dagegen wirkt Claude Debussys herrlich ausgekosteter langsamer Walzer La plus que lente wie ein sensibles Besinnen auf Musik, die aus der Stille kommt, und den Tanz, der ja seit jeher doppelten Boden hat, und schafft die Atmosphäre für die folgenden Walzer-Tondichtungen und Walzer-Exhibitionen Maurice Ravels. Die Valses nobles et sentimentales, auch eine Hommage an Schubert, hat man schon nobler und sentimentaler gehört, aber noch nie so vital und manchmal ins Uferlos-Abgründige stürzend wie in der Interpretation Varvaras. Und dann als rauschhaft verstörendes Finale: La Valse, die Apokalypse des Tanzes nach dem Grauen des Ersten Weltkriegs. Aus der feinen Melancholie der Wiener Walzer, die Ravel liebte, entsteht ein Walzen auf brodelnden Vulkanen. Auch in der Klavierversion, wenn eine Künstlerin wie Varvara sich dem Toben mit stürmischer Emotion und untadeliger Technik hingibt. Großer Jubel, belohnt mit kostbaren Zugaben von Ravel und Mozart. Auf baldiges Wiedersehen und Wiederhören, Varvara.

Bilder: Priska Ketterer

 

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