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Die Gabe der Zungen

BACHGESELLSCHAFT / MESSIAS

18/04/19 Händels Messiah erwartet keine fehlerlose Interpretation. Er erwartet kein gespanntes Publikum. Er erwartet keinen Prunksaal. Händels Messiah erwartet, dass man an ihn glaubt.

Von Franz Jäger-Waldau

„Gefangen in sich selber, durchmaß er mit stampfenden, taktierenden Schritten immer nur den selbstgeschaffenen Kerker des Raumes, er sang, er griff in das Cembalo, dann setzte er sich wieder hin und schrieb und schrieb, bis ihm die Finger brannten; nie hatte zeitlebens ein solcher Sturz des Schöpfertums ihn überkommen, nie hatte er so gelebt, so gelitten in Musik.“ So erzählt Stefan Zweig die Entstehungsgeschichte von Händels Messiah in seinen Sternstunden der Menscheit. Das Orchester unter der Leitung von Howard Arman scheint diese Zeilen vergessen zu haben. Denn bis zu ihrer Darbietung des Messiah im Großen Saal hat  von ihnen kein Ton überdauert.

Messiah folgt dem Vorbild seines Namensgebers: Händel stiftete damals Teile der Einnahmen für selbstlose Zwecke. Der Musikhistoriker Charles Burney: „Messiah ist ein Werk, das die Hungrigen nährte, die Nackten kleidete und die Waisen aufzog.“ Etwas mehr als drei Wochen Arbeit soll das Oratorium seinen Verfasser gekostet, aber bis zu dessen Tod als Sternstunde seines Schaffens begleitet haben. Aus dem Dunkel von Misserfolgen hat es Händel auferstehen und als Komponist unsterblich gemacht.

Die Salzburger Bachgesellschaft versuchte am Mittwoch (17.4.), den Messias im Großen Saal des Mozarteums mit Hilfe von Originalinstrumenten aus Händels Zeit wiederzubeleben. Das Collegium Vocale der Salzburger Bachgesellschaft und die Hofkapelle München treten dem Publikum nicht stolz sondern bescheiden oder vielleicht sogar zögernd gegenüber. Die unbezweifelbaren Qualitäten der Einzelmusiker werden bald klar: Ein Cellist etwa ergibt sich ganz der Musik, sein wilder Körper blickt bei jedem Hieb über die Saiten mit reuigem Blick zum Dirigenten hinauf, während das zweite Cello stoisch und - kaum den Bogen bewegend - die Noten vom Blatt in sich hinein spielt. Ein zarter Violinist mit dem Gesicht eines minoischen Mosaiks sitzt dem Kontrabassisten gegenüber, ein Techniker, der mit dem riesigen barocken Gerät wie mit einem schweren Panzer umgeht.

Umso enttäuschender ist, dass zwischen diesen Punkten so wenig Kraft übertragen wird. Eine Maschine - gebildet aus teuren Teilen, die fehlerlos und frei in ihren Innereien kreisen - aber dabei keine Funktion finden. Alles wippt über lange Ebben recht nett dahin, aber „nett“ ist keine Profilanforderung für einen Messias. Der Bass etwa nimmt seinem Gesang alle Erhabenheit durch eine Flucht vor dem Ernst der Rolle hinein in die Partitur. Von dort sprechen die Worte niemanden an und die Töne treffen nur sich selbst. Aber ein Messias überlebt seinen Tod nur durch Dramatik und die Erzählkunst seiner Jünger. Und das Oratorium lebt von der Gabe der Zungen der in Musik Betenden. Eine der größten Stärken der christlichen Heilsidee besteht nach wie vor darin, dass sie ihren Zweck nicht durch ihre Mittel entstellt und ihre Botschaft durch deren Überbringung untermauert.

Zeilen wie „the people that walked in the darkness have seen a great light. And they that dwell in the land of the shadow of death, upon them hath the light shined“ dürfen sich erlauben, auf ihre Präsentation zu bestehen – nicht weil sie ohne deren Hilfe schwächer - sondern für deren Ermöglichung stark genug sind.

Die Solisten treffen alle Töne. Sie finden alle Worte. Aber irgendetwas überlagert ihren Gesang. Irgendetwas flüstert zwischen ihre Worte. Ein Urteil, das zuerst so lächerlich, wie es danach verstörend - und endlich einleuchtend - klingen mag: Ihnen fehlt der Glaube. Nicht als Musiker, sondern als Erzähler.

Doch „Dank sei Dir, Gott“ - für den Countertenor. Alles Gute scheint tatsächlich von oben zu kommen, denn Markus Forster spricht mit seinem Gesang das Publikum, und nicht die Partitur an, er schaut den Einzelnen in die Augen, er erzählt seine Geschichte, wie einer, der sie selbst erlebt hat. Dass die Zuhörer ihm zuhören, verdankt er nicht nur seinem dichten Falsett, sondern vor allem seiner Gabe, der Gabe der Zungen. Er bricht als einziger die unsichtbare Wand vor der Bühne und nimmt ganz allein den Auftrag des Messias an: Als Inspirierter zu inspirieren. In diesem Stil schließt auch Zweig seine Erzählung: „Flut in Flut, ewigen Klang in die ewige Sphäre. Und am nächsten Tage, noch waren die Osterglocken nicht erwacht, starb endlich dahin, was an Georg Friedrich Händel sterblich gewesen.“

 salzburger-bachgesellschaft.at
Bilder: Bachgesellschaft / Howard Arman ; www.hofkapelle-muenchen.de

 

 

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