Verstückelungen

MOZART REQUIEM / DIALOGE / MOZARTEUM

03/11/18 Das Dialoge-Festival bleibt seinem Leitmotiv von Anfang bis zum Ende verbunden: Als „Zwischenspiel“ begann es und als „Zwischenspiel“ schließt es sein Programm mit einer Kompilation aus zarten zeitgenössischen Solostücken bis zum mächtigen Mozartrequiem.

Von Franz Jäger-Waldau

In seinem Abschlusskonzert entgrenzt das Dialoge-Festival die Strukturen von vier Einzelstücken, es erlaubt ihnen keinen Abstand voneinander, sondern verschneidet sie ineinander, es durchbohrt ihre innere Dichte: Von den Dialogen zum Dialog gezwungen beginnen verschiedenartige Kompositionen erstmals miteinander zu sprechen. Und ihr Gespräch klingt nach Musik.

Mit Cadenza, einem Solostück für Violine von Aulis Sallinen, wärmt der Geiger Pekka Kuusisto seine Saiten. Aus den letzten Noten überträgt sich nahtlos die Musik auf die flankierenden Streicher, die sie aufnehmen und in Bachs 3. Brandenburgisches Konzert verwandeln. Die Instrumente greifen hier zwar ebenbürtig ineinander, bilden beizeiten aber Gruppendynamiken aus, Zwischenspiele die die Komposition durch den Zwischenraum hin- und herwerfen. Das Orchester trägt Bachs Konzert im Stehen vor, was die Dynamik erweicht und beweglich hält. Als Vorausdeutung auf das Folgende bleibt inmitten des Schlagabtausches ein Violinenton hoch oben hängen und zieht einen Faden durch die Stille. Zwischen die barocken Muster wird plötzlich ein paraphrasiertes Zitat eines knapp 250 Jahre jüngeren Stücks genäht. Bach Materia von Anders Hillborg setzt ebenfalls unvermittelt nach dem kurzen Einstimmen des erweiterten Streicherorchesters ein. Der Kammerton flimmert und verzweigt sich zu einer Stimmtextur. Hillborgs Stück trennt alte Nähte neu auf, etwa die zwischen Geräusch und Musik oder Zitat und Original. Es ist eine strukturalistische Komposition, die dem dialogischen Prinzip eine dreidimensionale Gestalt gibt: Auf der horizontalen Ebene sprechen die Orchesterpartien miteinander, auf der vertikalen die Höhen und Tiefen und auf der Querebene überschneiden sich zitierte Musikstücke. Am Ende erlaubt sich Pekka Kuusisto eine ausgedehnte Improvisation samt Gesang über den Orgelpunkt. Zweifellos ist die Interpretation stark durchinszeniert und verzichtet nicht auf dramaturgische Techniken. Jene müssen sich der Musik allerdings nicht erst anbiedern, sondern wirken wie ihr immanenter Teil.

Das allerletzte Werk des diesjährigen Dialoge-Programms verkörpert die Figur eines Zwischenspiels am eigenen Leib: Mozarts Requiem selbst ist kein Stück, sondern eine Verstückelung verschiedener Kompositionen verschiedener Komponisten. Der erste verschied noch vor der Fertigstellung, weswegen unter anderen Franz Xaver Süßmayr die Arbeit seines toten Lehrers fortführen musste. Kompositorisch ist das Requiem als geistliches Werk sicher eher den wiederhallenden Wänden einer Kirche angegossen, als in die trockene Akustik eines Konzertsaals gestellt. Der Große Saal der Stiftung Mozarteum erlaubt allerdings eine messerscharfe Dynamik, die etwa neue Stillen oder Feinzeichnungen möglich und notwendig macht. Unter der Leitung des Dirigenten Andrew Manze nutzen die Camerata und der Bachchor Salzburg die räumlichen Bedingungen zu ihrem Vorteil: Im langsamen Lacrimosa treten Pausen in die Falten der steigenden Kadenz („qua resurget ex favilla“); das Dies Irae bricht wuchtiger durch das Schweigen. Am Ende gelingt es dem Orchester, die erhabene Intimität einer Totenmesse mit der Gewalt einer Sinfonie zu verstückeln.

Übersicht zum vergangenen Programm und Informationen zu kommenden Veranstaltungen: www.mozarteum.at

 

Bilder: Kaapo Kamu, Wolfgang Lienbacher