Gewaltbereit und verzweifelt

STIFTUNG / LIEDERABEND / PRÉGARDIEN / VOGT

07/11/18 Nur noch ein Funke – ein fallendes Blatt vielleicht – und das Pulverfass im Herzen des Verzweifelten explodiert. Ob er dabei nur selber draufgeht oder alle fatalerweise Anwesenden mit in den Tod reißt, reiner Zufall. Als Augenzeuge eines tödlichen Kampfes fühlte man sich bedroht von der verzweifelten Gewaltbereitschaft, die Julian Prégardiens Wanderer in Schuberts „Winterreise“ ausstrahlte.

Von Heidemarie Klabacher

„Von der Straße her ein Posthorn klingt...“ Dieses Lied lässt in vielen Winterreise-Interpretationen ein wenig aufatmen. Zwischen der Einsamkeit und dem Greisen Kopf bringt Die Post einen Hauch von Farbe und Entspannung. Nicht in der Lesart von Julian Prégardien und seinem Klavierpartner Lars Vogt: Selbsthass, beißende Ironie, Selbstverachtung angesichts der sich erneut aufdrängenden Gefühle und absurden Ideen – „Willst wohl einmal hinüberseh’n“ – ließen am Dienstag (7.11.) im Großen Saal des Mozarteums das Blut gefrieren.

Nicht zum ersten Mal an diesem überwältigenden Abend. Beim Lied Frühlingstraum ist jeder vorsichtig, wissend, dass der Schlummernde verstört auffährt. Für den wahren Schrecken sorgten in der Interpretation von Julian Prégardien und Lars Vogt aber nicht krähende Hähne und schreiende Raben. Unter die Haut ging das Aggressionspotential, das die Künstler in die Zeile „Ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah“ zu legen vermochten. Auch wenn er sich den Spott nur einbildet: Jedem und jeder Einzelnen im Saal schien dieser Wanderer an den Kragen zu wollen. Im Lied Auf dem Flusse richteten sich Hass und Verachtung des Wanderers gegen sich selbst, wenn er Namen der Liebsten „und Stund‘ und Tag“ ins Eis ritzt. Es war eine offen ausgesprochene Warnung und Drohung: „Ob’s unter seiner Rinde wohl auch so reißend schwillt?“

Bei aller modernen, ja zeitgeistigen, Psychopathologie eines künftigen Selbstmord-Attentäters, war die Liedkunst an diesem Abend klassisch vollendet. Mit souveräner Leichtigkeit differenzierte und schattierte der Tenor Julian Prégardien noch in den exponiertesten Lagen die Klangfarben und Lautstärken. Da waren keine Grenzen des technisch Machbaren spürbar – im Aufbrausenden, wie im Verinnerlichten. „Habe ja doch nichts begangen, das sich Menschen sollte scheuen…“ Singulär das Pianissimo der Stimme über dem pochenden Klavierpart im Lied Wegweiser oder die bar jeglichen Lebens hinfließende „Wonne und Seligkeit“ nochmals im Frühlingstraum.

Mit der gleichen Subtilität und Differenzierungskunst gestaltete der Pianist Lars Vogt den Klavierpart dieser singulären Winterreise, zum Staunen klangfarbenreich saalfüllend etwa im Lied Das Wirtshaus, beängstigend radikal etwa im – schon wieder – Frühlingstraum. Einzelne Vorhalte und Verzierungen im Gesangspart, etwa im Lied Erstarrung oder auf das Wort „Herz“ in der Zeile „noch schlägt das Herz so warm“ (ja, ja Frühlingstraum) oder in der Post durfte man so noch nie hören. Neue kritische Schubertausgabe? Spannende Details jedenfalls, virtuos und mit größter Zurückhaltung ein- und umgesetzt. Auch diese so musikantisch eingesetzen musikologischen Details tragen dazu bei, dass diePrégardien-Vogt’sche Winterreise erinnert bleiben wird.

Bild: www.julianpregardien.de