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Pathétique, nicht pathetisch

SALZBURGER KULTURTAGE / ST. PETERSBURGER PHILHARMONIKER

12/10/18 Zuversicht, Liebe, Enttäuschung, Tod: Ein realistischer Lebenslauf des bequemen Bourgeois; und gleichsam das von Tschaikowsky vorgesehene Satzprogramm für seine Pathétique. Weniger pathetisch zeigen die St. Petersburger Philharmoniker im Großen Festspielhaus, dass sie wissen, wovon sie spielen.

Von Franz Jäger-Waldau

Unter dem demütigen Blick des Dirigenten Yuri Temirkanovs schiebt sich der Star-Pianist Yefim Bronfman schwerfällig unter dem Applaus durch die Reihen der St. Petersburger Philharmoniker an seinen Flügel. Er streicht mit rauen Händen über das glatte Holz der Tasten und nimmt schließlich mit der gebeugten Haltung eines Handwerkers an seinem Arbeitswerkzeug Platz. Bevor sich das Orchester Tschaikowskys berühmter 6. Sinfonie in h-Moll widmet, eröffnet es den Konzertabend der Salzburger Kulturtage mit dem anmutigen 2. Klavierkonzert Prokofjews. „Es war ziemlich sensationell. Die Hälfte der Hörerschaft applaudierte und die andere Hälfte zischte“, meint der russische Komponist damals anlässlich der skandalösen Uraufführung seines Werks im Jahr 1913. „Wir sind natürlich heute viel Ärgeres gewohnt.“, entschärft dagegen Gottfried Kasparek in seinem Einführungsvortrag die dekonstruktive Ladung des die Grenzen der Tonalität in Frage stellenden Werks. Dennoch entfesselt Prokofjews technisch anspruchsvollstes Konzert in Bronfmans Händen eine Springflut von Eindrücken: Die Soloparts sind durch ihre Klangfülle kaum von den Tutti zu unterscheiden; sämtliche Stimmen scheinen sich lediglich vorübergehend auf Bronfmans Klaviatur verschoben zu haben. Von dort hetzen sie im ersten Satz das raunende Orchester zur gemeinsamen Katastrophe auf und führen es wieder mit beruhigenden Crescendi zurück in die Stille. Die späteren Sätze setzen schwere maschinelle Schritte in den Saal, zwischen die Bronfmans Spiel zarte Ornamente schlingt. Als gegen Ende die tiefen Bläser - wie von Prokofjew geplant - das Orchester in Tonqualm ersticken, beweisen die St. Petersburger Philharmoniker schließlich vor der Pause ihr technisches Feingefühl für Dynamik.

Mit seinem letzten Werk wollte Tschaikowsky seiner Karriere in vier Sätzen ein finales Testament widmen. Er hat Erfolg, über seine Pathétique kann er damals mit Recht behaupten, sie sei „eine grandiose Sinfonie, die den Schlussstein meines ganzen Schaffens bilden soll“. Aber nicht nur sein Schaffen ist mit der Uraufführung im Jahr 1893 vollbracht, auch sein Leben endet leider schon knapp zehn Tage später. Doch die St. Petersburger Philharmoniker wissen sich mit ihrer Interpretation der spätromantischen Harmonien vor den Abgründen der Sentimentalität zu hüten. Ihre selbstsichere Gelassenheit umgibt die ausschweifenden Passagen mit der notwendigen Intimität, die den gebannten Zuschauerraum des Festspielhauses förmlich zu verdichten scheint. Oft leistet sich das Orchester lange, bis zur vollkommenen Stille anhaltende Pausen zwischen den Akkorden, völlig furchtlos, die Spannung im Saal dadurch abreißen zu lassen. Im letzten, dem „Ersterben“ geweihten Satz gelingt es dem Dirigent Yuri Temirkanov zuletzt zweifellos, die Grenze zwischen Pathétique und Pathetik zu verdeutlichen. Die Sinfonie endet unerwartet, beinahe zu bald – eben wie das Leben ihres Komponisten.

Weitere Informationen zu Veranstaltungen der Salzburger Kulturtage unter: www.kulturvereinigung.com
Bilder: imgartists.com (1); www.yefimbronfman.com (1)

 

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