Erweiterung musikalischer Horizonte

CAMERATA SALZBURG / TEODOR CURRENTZIS

15/01/18 Teodor Currentzis ist einer der wenigen wirklichen Pultmagier unserer Zeit. Einer, der inneres Feuer hat, einer, der mitunter mit extremen Sichtweisen polarisieren mag, aber dennoch ein Diener der Musik bleibt und unglaubliche Spannung und Intensität erzeugen kann. Und gar bei einem Programm wie diesem!

Von Gottfried Franz Kasparek

„Musik als metaphysische Bewegung“ heißt es im Programmheft des „Spezialkonzerts“ der Camerata Salzburg unter Teodor Currentzis über den Stil von Frank Martin. Und in der Tat: Der ganze Abend – das Sonderkonzert am Freitag (12.1.) im Großen Saal des Mozarteums hatte etwas Metaphysisches. Und vor allem etwas tief Bewegendes.

Teodor Currentzis und die Camerata vertragen sich aufs Beste. Der als extravagant bekannte Dirigent wirkt in diesem Rahmen überhaupt nicht „extravagant“, sondern als beflügelnder „Primus inter pares“, als leidenschaftlicher Musiker, der die Vermittlung der Kunst wirklich als Mission empfindet, und als sorgfältiger Gestalter diffiziler Partituren. Kurzum, er ist ein Gewinn für das Orchester und man wünscht sich weitere intensive Zusammenarbeit.

So beliebt das Abspielen der immer gleichen Stücke auch sein mag, so sehr der geliebte Mozart und die Wiener Klassik gerade in Salzburg immer noch und immer wieder einer vielfältigeren Rezeption der gesamten Musikgeschichte geradezu schicksalhaft im Wege stehen – so sehr sind Konzepte vonnöten, die den Blickwinkel erweitern. Dass ein avanciertes Programm mit Schnittke, Mahler, Martin den Großen Saal des Mozarteums füllen und das Publikum zur Begeisterung treiben kann, ist eine wertvolle Erfahrung. Auch Riccardo Minasi mit dem Mozarteumorchester hat Ähnliches ja schon bewiesen. Weniger Bequemlichkeit und mehr Mut tun der Musiklandschaft gut.

Alfred Schnittke ist in den zwanzig Jahren seit seinem Tod ein seltener Gast in Programmen geworden und dies sollte sich wieder ändern. Seine pfiffige und gleichzeitig tiefgründige Polystilistik ist ein wahrer Wegweiser in die Zukunft der Musik. Ein Stück wie das Concerto grosso Nr. 2 aus dem Jahr 1977 ist ein moderner Klassiker. Corelli-Anverwandlung und Tango, atonale Würze und vitale Virtuosität ergeben ein mitreißendes Stück, von den famosen Solistinnen und Solisten der Camerata mit Pfiff und Gefühl musiziert, mit Andrej Baranov und Gregory Ahss als herrlich expressivem und mit Spielwitz agierendem Geigerpaar.

Danach arbeitete Currentzis die nachtschwarzen Farben von Gustav Mahlers „Kindertotenliedern“ mit feinsten Schattierungen und irrlichternden Stimmungen heraus. Das Stück erklang in einer behutsamen Fassung für Kammerorchester von Wolfgang Gabriel. Die Mezzosopranistin Ann Hallenberg hatte ihre Vorzüge in der dunklen Mittellage, die Höhe geriet mitunter ein wenig gar dramatisch. Friedrich Rückerts berührende Verse waren nur rudimentär verständlich. Wenn man sie nahezu auswendig kann, macht das nichts. Wer mitlesen wollte, scheiterte meist am viel zu kleinen Druck im Programmheft.

Nach der Pause wurde Frank Martins „Petite Symphonie concertante“ zum Ereignis. So kunstvoll diese im besten Sinne zeitlos schöne Musik ist, so sehr ist sie im Metaphysischen, im Spirituellen verwurzelt. Die beiden Streichorchester sorgten für verinnerlichte Klarheit. Ulrike Mattanovich (Harfe), Florian Birsak (Cembalo) und Per Rundberg (Klavier) spielten ihre Soli mit ebenso viel Energie wie Nuancierung – es war, angefeuert vom Dirigenten, ein bewegendes, herzliches Musizieren. Großer Jubel.

Bild: Konzerthaus/Dmitrii Dubinsky (1)