Erinnern in die Zukunft

ISRAELITISCHE KULTUSGEMEINE / IGNM / IG KOMPONISTEN

21/11/17 Mögen hierfür Ängste aus historischer Erfahrung überwiegen, vielleicht aber wiegen wir uns in Salzburg auch zu leichtgläubig in der Sicherheit, vor Extremismen verschont zu bleiben: Die tragische Unzulänglichkeit unserer Gesellschaften bezüglich allgemeiner und umfassender Humanität wird beim Anblick von Sicherheitsorganen sichtbar, wenn, wie am Sonntag (19.11.) ein Konzert in einer Synagoge stattfindet.

Von Erhard Petzel

Jedenfalls luden Israelische Kultusgemeinde, Internationale Gesellschaft für neue Musik und IG Komponisten Salzburg zu einem Nachmittagskonzert in den Sakralraum der jüdischen Gemeinde Salzburgs mit stark lokalem und spirituellem Bezug. Marko Feingold begrüßte die Gäste, deren Schar die beschränkten Raumkapazitäten gerade nicht überforderte, bevor Klemens Vereno durch das Programm führte und die Ausführenden vorstellte. Die Ensembles Musicacosì und acrobat teilten sich die musikalischen Aufgaben geschwisterlich.

Als Eröffnung wurde „Octanova“ von Johannes Krall uraufgeführt. Das Gesangsquartett (Marcia Sacha, Sophie Allen, Bernhard Teufl, Johannes Forster) konzertiert mit einem Quartett aus Violine (gespielt vom Komponisten), Viola, Bassklarinette und Kontrabass über den der Struktur zugrunde liegenden Choral „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ aus Bachs Matthäuspassion. Transparent umwebt das Stimmengeflecht der Instrumente die Klangdeutung des Chorals und bringt eine sinnliche Note Klezmer ein.

Mit Sebastiana Iernas „Alma immortalis“, ein selbstversunkenes Duett von Violine und Cello, beginnt ein Reigen von kleinen Instrumentalstücken als quasi absolute Zwischenmusiken zum klingenden Wort. Diese edle Aufgabe übernehmen des weiteren Katrin Klose, die ihr Solostück „Schatten“ auf der Violine präsentiert, Norbert Sprave mit seinem „Mirjam Brunnen“ auf dem Akkordeon und Stefan David Hummel mit der Uraufführung seiner „Meditation“ auf der Viola, die zum Melodram über Rilkes Herbst aus dem Buch der Bilder wird. Zur Aufstellung kompakter Kammermusik, durchgeführt von ihren Schöpfern, verbindet die Stücke Charakter und Grundeinstellung zu einem so farbigen wie geschlossenen Gesamteindruck.

Als reine Vokalwerke steuerten Laurence Traiger „Dort starb Mosche“ aus dem alttestamentlichen Deuteronomium in Bubers Übersetzung bei, Klemens Vereno baute seine Vokalquartette über Texte von Gerhart Hauptmann (Widmung) und Josef Weinheber (Auf einer goldnen Flöte). Als nicht zeitgenössisches Werk brachte das Ensemble Musicacosì Schuberts Vertonung des 92. Psalms in hebräischer Sprache zu Gehör. Den Bariton-Part des legendären Salomon Sulzer übernahm Benjamin Sattlecker.

Die „Vocalise Mystique“ von Gertraud Steinkogler-Wurzinger für Sopran (Elisabeth de Roo) und Harfe (Leonor Maia) fußt auf Errungenschaften ekmelischer Musik Franz Richter-Herfs. Entsprechend sphärisch sind Klänge und Stimme in Harmonie auf einer archaisch-gemäßigten Reise, orientiert an Messiaens Quatuor pour la fin du temps und getragen vom Textbeginn des Gedichts „Alma“ der Teresa von Avila: Seele, suche Dich in Mir Und Mich, suche Mich in Dir.

Den Rahmen in größerer Besetzung beschloss Egon Lustgartens Vertonung von Christian Morgenstern. Der Klavierpart von „Nachtgesichte“ op.13 für Klavier und Singstimme aus 1921 wurde von Klemens Vereno für Flöte, Klarinette, Violine, Viola und Cello instrumentiert. Fausto Quintabà dirigierte das lautmalende ensemble acrobat, Kristina Quintabà vermittelte mit wandlungsfähigem Mezzosopran den abgründigen Schauer von Morgensterns Visionen eines nächtlichen Hauses, des Wolkenbaums oder des von Raben begleiteten Sonnenaufgangs. Verglichen mit der Zahlenmystik Kralls in Oktanova eine freundliche Sicht in die Zukunft? Mögen die Raben Weisheit säen.