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Der Nebel wird bleiben

CD-KRITIK / MAX REGER / DAS ORGELWERK

11/05/16 Aus der Werkeinführung zum Booklet: Es werde uns „eine Geschichte über ein Thema erzählt“, aber „keine Geschichte kann und darf ewig dauern: Nach etwa dreißig Minuten beginnt die Fuge...“ Bloß nicht ungeduldig werden. Bei Max Reger läuft Zeit in anderen, sphärischen Dimensionen. – Zum 100.Todestag des Komponisten heute Mittwoch (11.5.).

Von Reinhard Kriechbaum

Für das gesamten Orgelwerk von Bach braucht's zwanzig CDs, für Reger kommt man mit schlappen sechzehn Silberscheiben aus. Bernhard Buttmann, Kirchenmusikdirektor in St. Sebald/Nürnberg, hat die Titanenarbeit auf sich genommen, wirklich alles für Oehms classics einzuspielen. Im Jahrestakt seit 2013 ist jeweils eine Vierer-Kassette erschienen, jüngst ist das Projekt mit der vierten Edition abgeschlossen worden. Punktgenau zu Regers 100. Geburtstag am 11. Mai.

16 CDs also in Summe, allein die letzte Viererfolge mit einer Spieldauer von vier Stunden und 27 Minuten. Die knackigen halbstündigen Variationen, von denen eingangs die Rede war, bilden das Zentrum von Opus 73, „Variationen und Fuge über ein Originalthema fis-Moll“. So ziemlich das Sperrigste und auch technisch Herausfordernste, was Reger eingefallen ist für das Instrument. Andere ausufernde Werke sind Phantasie und Fuge d-Moll op. 135 b sowie Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127.

Selbst, wenn man das alles nur so hinschreibt, wirkt's nicht wenig erschöpfend. Besser wohl, man geht es ganz sanft an und legt als erstes die Dreißig kleinen Choralvorspiele op. 135A auf: Da kommt der Komponist mit menschenfreundlichen Zeitspannen ab einer Minute bis zweieinhalb Minuten aus. Bernhard Buttmann ist ein Enkelschüler des Reger-Zeitgenossen (und wichtigsten Erst-Interpreten dieser Musik) Karl Straube. Gerade in diesen Miniaturen auf meist auch heute noch sehr bekannte Liedmelodien ist es lohnend nachzuhörern, wie einer aus der „Leipziger Schule“ (die Reger mit seinen Kompositionen nachhaltig mitprägte) klanglich vorgeht: durchwegs klar-stimmig, aber stets evident haltend, dass Reger ja auch ein Orchester-Komponist war und mit den Farben des Impressionismus wenigstens umzugehen verstand (auch wenn sie nicht wirklich die Seinen waren): Der satte Klang des Fin de siècle, also etwas durch und durch Endzeitliches, eignet dieser Musik ebenso wie der schier ausufernde Satz: Die schlichteste Melodie wabert in angereicherter Harmonik und fährt sich nicht selten fest Urschlamm der Bässe.

Reger selbst sah das durchaus realistisch: „Der Brahmsnebel wird bleiben– mir ist er lieber als die Gluthitze von Wagner.“ Bernhard Buttmann arbeitet schön heraus, dass Reger eben aus der Linie Schumann/Brahms herauswächst. Eher nur die Formen sind im Barock entlehnt, natürlich auch die ausgereizte Technik des Kontrapunkts. Und der Schritt in die Moderne ist viel zaghafter als bei Skrijabin, Mahler oder Zemlinsky. „Reger ist weder ein Bach redivivus noch ein Prophet der Wiener Schule“, äußert sich der Interpret dazu im Interview.

Wäre Reger ein lebenslustiger Knabe gewesen, hätte vielleicht ein Hugo Wolf aus ihm werden können. Als Katholik hat er eine geschiedene Protestantin geheiratet. Er ist dann trotzdem kurz in München Nachfolger Josef Gabriel Rheinbergers gewesen, aber nur kurz. Er ging dann in protestantische Landen, war zuletzt Hofkapellmeister in Meiningen. 1916 ist er einer Herzattacke erlegen. Wenig gibt es zu erzählen aus einem Leben, das sich quasi im Korsett des strengen Kontrapunkts abspielte. Nichts fiele einem weniger ein zu Regers Orgelwerken als Musikantentum, auch wenn da und dort in einer Toccata Reminiszenzen an die französische Orgelromantik vorüber huschen. Sie sind weg, bevor man sie richtig erhascht.

Gerade, weil Bernhard Buttmann so stilkundig, mit bewundernswerter technischer Akribie und akkurater Klangvorstellung zur Sache geht, wird einem bewusst, dass Reger nicht zu Unrecht aus dem Wahrnehmungshorizont gerückt ist – gerade in jener Zeit, da der Sinn für die Jahrhundertwende-Musik geschärft, die Werkkenntnis rundum erweitert wurde. „Werden sie auch noch weiter Reger spielen oder 'reicht' es ihnen?“ Das muss sich der Interpret im Booklet-Interview fragen lassen. Recht geraten, Bernhard Buttmann reicht es nicht.

Der Wiener Organist Kurt Rapf (1922-2007) wurde Regers auch nicht über: Er verbrachte vierzehn 14 Jahre damit – von 1970 bis 1984 – das Orgelwerk Regers auf „den großen Orgeln Europas“ für MPS einzuspielen. Die reichten dann nicht aus, für die Choralvorspiele op. 67, Heft 2 flog Rapf sogar in die New Yorker Riverside Church. Das Gesamtprojekt ist dann freilich nicht publiziert worden, aber es gibt Dutzende Masterbänder. Es wurden nur die Aufnahmen bis 1980 in sieben Vinyl-„Volumes“ zusammengefasst und veröffentlicht.

„Die bisher unveröffentlichten Aufnahmen aus Villingen, Speyer, Luzern, Salisbury und Wien, die für die Volumes 8 und 9 vorgesehen waren, konnten leider auch in diese Ausgabe nicht aufgenommen werden“, heißt es in einer Aussendung von MPS. „Die Masterbänder für Volume 8 sind nicht mehr auffindbar. Die Aufnahmen von Volume 9 liegen lediglich als U-matic Kassetten vor (eigentlich ein Videoformat), denen aber selbst mit größtem technischen Aufwand kein Ton mehr zu entlocken war.“ Demnächst erscheint eine CD-Box mit dem Vorhanden, neu gemastert. Das sind immerhin vierzehn Scheiben, historisch, aber eben nur fast alles..

Ein boshaftes Diktum von Alfred Brendel kommt einem bei Reger in den Sinn: Pianisten ohne Humor, äzte der, sollten Organisten werden. Wahrscheinlich hat Brendel irgendwann ein bisserl zu viel Reger hören müssen.

Max Reger: Das gesamte Orgelwerk. Vol 1 bis 4 je 4 CDs. Bernhard Buttmann (Orgel). Oehms classics, www.oehmsclassics.de
Max Reger: Das Orgelwerk. 14 CDs. Kurt Rapf (Orgel). MPS Records, www.mps-music.de
Mehr über Max Reger: www.max-reger-institut.de
Bilder: Oehms classics (1); www.max-reger-institut.de (1); MPS Archiv

 

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