asdf
 

Raue Sitten, pralles Leben

CD-KRITIK / ARGENTUM ET AURUM

02/06/15 Raue Sitten, die Neidhart in seinem Lied „Der Sunnen glanst“ schildert! Was wie die Beschreibung einer frühlingshaften Vedute anhebt und auch von der Bewunderung für eine Dame – ein „weib so mynnichleich“ - berichtet, schwenkt jäh in die Beschreibung eines Kriminalfalls mit fatalen Folgen.

Von Reinhard Kriechbaum

Da trifft sich eine Schar „oden goch“ (dummer Kerle) zum Tanz, und einer gibt mit einem Rosenkranz an, den er Frau geklaut hat. Das mündet prompt in eine Auseinandersetzung, bei der nicht bei einer Wirtshausschlägerei bleibt: 32 Tote, das war wohl auch damals eine nicht alltägliche Bilanz für einen relativ geringen Anlassfall. Wohl wert, von einem fahrenden Sänger, einer Art singender Tageszeitung, verbreitet zu werden.

Wir sind im Habsburgerreich der frühen Renaissance. Kunstvolle Polyphonie eines Heinrich Isaac oder eines Paul Hofhaimer ertönt, aber da ist noch aus dem Mund von Minnesängern à la Neidhart und Oswald von Wolkenstein Musik eben in ganz anderen Schattierungen zu vernehmen. Diese Leute sind viel herumgekommen, und auf ihren langen Reisen haben sie die Sitten und Gebräuche ganz unterschiedlicher Gesellschaftsschichten hautnah kennen gelernt. „Argentum et Aurum“ - der Titel dieser CD-Schatzkiste – sind also nur das Zahlungsmittel der Oberschicht. Darunter rechnete und zahlte man mit anderer Münze als mit Edelmetall. Wüst ist es zugegangen, aber auch lebefrisch. Über die Gebräuche und Vergnügungen bei der Paarung erfahren wir sehr Anschuliches, un d nicht immer würde man das heutzutage als jugendfrei einstufen.

Ergebnisse eines musikhistorischen Forschungsprojekts an der Wiener Universität haben Marc Lewon und seine famosen Musiker da praktisch umgesetzt. Es geht um die solistische Vortragskunst. Weltliches und geistliches Liedgut steht nebeneinander, in buntem Querfeldein. Die Vokalisten Els Janssens-Vanmunster und Raitis Grigalis werden auf sehr spezifische Art begleitet. Marc Lewon setzt nämlich nicht nur auf instrumentale Abwechslung, sondern auch auf unterschiedliche „Temperaturen“. Die auf mittelalterliche Praxis zurückgehende Lieder und Sätze sind in der Hauptsache Laute, Drehleier und Vielle anvertraut, und die Stimmung ist eine pythagoräische. Streichinstrumente (Viole d'arco) wählt man für die „neue“ Renaissance-Polyphonie und horcht der Mitteltönigkeit nach, die ja da erst notwendig wurde.

Im Ensemble Leones sind enorm stilkundige Musiker vereint. Die sprachliche Akkuratesse in dieser Aufnahme sucht ebenfalls ihresgleichen.

Der Enttäuschung über das sehr dünnes Booklet hält nur so lange an, bis man den angegebenen Links folgt: Auf den Websites des Ensemble Leones und von Naxos sind nicht nur die Texte samt Übersetzung zu finden. Und dort wiederum sind Links zu wissenschaftlichen Beiträgen. Es gibt jedenfalls gute Gründe, diese CD nicht bloß in der Stereoanlage im Wohnzimmer einzulegen, sondern – zum Mit- und Nachlesen – auch ins Laufwerk des Laptop.

Argentum et Aurum - Musical Treasures from the Early Habsburg Renaissance. Ensemble Leones, Ltg. Marc Lewon. Naxos 8.573346 – www.naxos.com; www.leones.de

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014