Trotz Abschied kein Abschied von Schubert

WOLFGANG HOLZMAIR / ABSCHIED / CD-KRITIK

09/01/15 „Wenn man bedenkt, dass die Anfänge meiner Laufbahn bis ins Jahr 1977 und sogar noch davor zurückgehen, wird es nicht verwundern, dass ich nach geschätzten 1.600 Auftritten dem Singen Ade sage. Oder besser noch: den Reisestrapazen und dem Aufführungsstress.“

Von Heidemarie Klabacher
und Horst Reischenböck

Kein geringer Schock für Lied-Freunde und Holzmair-Fans diese lapidare Ankündigung auf der website: Der international renommierte Liedsänger Wolfgang Holzmair beendet seine aktive Konzert-Laufbahn. Am Sonntag (11.1.) gibt er sein letztes „offizielles“ Konzert in Wien im MuTh, dem Konzersaal der Wiener Sängerknaben.

„Trauriger Abschied? Nein. Abschied von Schubert? Nie. Wie denn auch? Ein Finale mit diesem Einzigartigen? Das ja. Muss sein! Über siebenunddreißig Jahre hindurch bestimmte er mein Leben, Jahre, in denen ich auf vielen der ersten Podien stehen durfte. Was bleibt, sind Dankbarkeit und eine Unmenge an außerordentlichen Erlebnissen. Und Menschen, die mir durch ihre Treue, durch ihr ‚Mitleben’ zu Freunden wurden, mich begleiteten und weiter begleiten werden, wenn es zu neuen Ufern geht.“ Das schreibt Wolfgang Holzmair in der Konzertankündigung. Er begeht seinen Abschied vom Podium mit einem kleinen Zyklus: „Finale und Scherzo“.

Gestern Donnerstag (8.1.) spürte Holzmair „noch einmal Schuberts Tragik mit ihren nach innen rinnenden Tränen“ nach. Übermorgen Sonntag (11.1.) wird noch „ein heiteres Scherzo folgen“: „Ein Überraschungsdessert sozusagen, bei dem das Publikum schmunzeln und nochmals Neues im Dickicht meiner Programme entdecken darf.“

Wolfgang Holzmair wird als Sänger also nicht mehr auf dem Podium zu erleben sein. Unvorstellbar. Bleibt die Hoffnung auf viele weitere CD-Einspielungen und weitere aufregende Reisen zu „neuen Ufern“ des Kosmos „Liedgesang“. Auf die querständigen und so überaus erhellenden Blickweisen Wolfgang Holzmairs auf das Liedrepertoire, seinen einzigartigen Umgang mit dem Text, ist nicht zu verzichten. Eine Fundgrube ist denn auch die jüngste – und eben hoffentlich nicht letzte – Einspielung des Liedmagiers: „Klopstock Lieder“ heißt sie ganz unprätentiös.

Wolfgang Holzmair – auch nach seinem Abschied vom Podium noch Liedprofessor am Mozarteum und Leiter der Sommerakademie Mozarteum - stellt mit Wolfgang Brunner am Hammerklavier und der Sopranistin Stefanie Steger jeweils zwei oder gar drei parallele Vertonungen desselben Klopstock-Gedichtes (Freundschafts-, Natur- und Liebesoden) einander gegenüber und stößt dabei auf wahrhaft Erstaunliches.

„Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen?“ Das hat einst Gotthold Ephraim Lessing gefragt - und schon Lessing kennt heute fast keiner mehr. Ganz zu schweigen von Friedrich Gottlieb Klopstock. Dabei schuf grad dieser Dichter eine Fundgrube für Komponisten. Etwa für Christoph Willibald Gluck und Carl Philipp Emanuel Bach, aber auch für den „jungen“ Franz Schubert.

Dass Schubert mit „Die Gestirne“ D 844 den Reigen packend anführt und dann auch mit „Dem Unendlichen“ D 291 den Schlusspunkt markiert, mag durchaus publikumswirksam verkaufsfördernd gedacht gewesen sein. Aber es ist auch interessant zu verfolgen, wie Schubert von der reinen Strophenform zum frei gestalteten Hymnus fand. Und dazwischen eingebettet schuf er mit der „Selma und Selmar“ D 286b sowie „Hermann und Thusnelda“ D 322 kleine Dialog-Szenen. Diese singt Wolfgang Holzmair alternierend zum glockenhellen Sopran der Mozarteums-Absolventin Stefanie Steger.

„Die frühen Gräber“ D 289 ermöglicht den direkten Vergleich von Schuberts Zugang mit der Vertonung desselben Textes von Christoph Willibald Gluck. Dessen „Vaterlandslied“ basiert auf dem eigentlich nicht mehr goutierbaren unsäglichen Textanfang aus stolz geschwellter Brust: „Ich bin ein deutsches Mädchen…“ was dann weitergeht mit „Du bist kein deutscher Jüngling! Des Vaterlands nicht wert ...“ weiterführt. Über diesen Inhalt sollte besser hinweggehört werden. Dem stehen Schuberts Fassung D 287 und auch jene von Carl Philipp Emanuel Bach H 731 gegenüber. Der große Bachsohn ist als Liedkomponist so gut wie nicht bekannt und auch sein 300. Geburtstag, der heuer gefeiert wurde, hat in der Allgemeinheit daran nichts geändert. Für Klopstocks Gedichte „Der Jüngling“ und „Die Sommernacht“ hat Gluck (wie später auch Schubert) sogar zwei Versionen hinterlassen.

Wolfgang Holzmair, seit langem Professor am Mozarteum, in allen Fällen ein selbstloser, zwischen Intimität und hymnischem Überschwang differenzierend baritonaler Sachwalter, erkor sich zu diesem Projekt Wolfgang Brunner als einen ebenso einfühlsam wie gegebenenfalls fordernden Begleiter. Brunner verwendet für diese Aufnahme zwei zeitlich und vom Klangbild hervorragend passende Hammerklaviere: Robert Brown in Oberndorf kopierte einen Walter-Flügel aus den 80er-Jahren des 18. Jahrhunderts und einen von Michael Rosenberger aus Anfang 1900.

Noch eine typische Holzmair-Einspielung: Der Barton hat sich zusammen mit dem Ensemble „die reihe“ die „Poems to Martha“ vorgenommen, Ernst Tochs Quintett für Streicher und mittlere Stimme op. 66. Toch emigrierte in die USA und starb dort 1964. Sein 50. Todestag wurde von seiner einstigen Heimat Österreich großzügig ignoriert! Dabei hätten dessen Suite „Gesprochenes Wort“ mit der Fuge aus der Geographie oder der Walzer für gemischten Sprechchor und Schlagzeug gerade heuer besonders etwa in die „Dialoge“ der Stiftung Mozarteum gepasst. Wenigstens auf CD sind sie dank Wolfgang Holzmair zu genussvollem Hören dokumentiert!

www.muth.at ; www.wolfgangholzmair.com
CPE Bach, Gluck, Schubert – Klopstock Lieder. Wolfgang Holzmair, Bariton; Stefanie Steger, Sopran; Wolfgang Brunner, Hammerklavier Gramola CD 99037 - www.gramola.at
Ernst TOCH: To Martha. Gesprochene Musik, Poems to Martha op. 66, Walzer für gemischten Sprechchor und Schlagzeug, Tanz-Suite opo. 30 Wolfgang Holzmair, Bariton; Wiener Motettenchor; Ensemble „die reihe“, Dir.: Gottfried Rabl ORF CD 3142 - shop.orf.at