Der Promi-Begräbnis-Gassenhauer schlechthin

CD-KRITIK / JOMMELLI-REQUIEM

29/10/21 Was haben Christoph Willibald Gluck und Rossini gemein, der Bildhauer Antonio Canova, der französische König Louis XV., der Bayernherzog Maximilian III. oder Landgraf Friedrich II. von Hessen? Zu ihrer aller Begräbnisse oder Gedenkfeiern erklang die Missa pro defunctis Es-Dur von Niccolò Jommelli.

Von Reinhard Kriechbaum

Dieses Stück war, respektlos formuliert, über Jahrzehnte der Promi-Begräbnis-Gassenhauer schlechthin. Als Jommelli es Anfang Februar 1956 anlässlich des Todes von Maria Augusta von Thurn und Taxis schrieb, war Mozart gerade ein paar Tage alt. Es sollte das Schicksal dieses Werks werden, dass schließlich die Nachgeborenen ihr strenges Urteil über Jommellis Requiem gesprochen haben und es alsbald durch jenes von Mozart ersetzten. Dass die eine oder andere Wendung bei Jommelli an Mozarts Totenmesse erinnert? Kein Zufall. Ein Schüler von Leopold Mozart hatte die Partitur in Salzburg um 1775 abgeschrieben. Wolfgang Amadé kann das Werk also gekannt haben. (Das unmittelbare Vorbild für Mozart war dennoch das sogenannte Schrattenbach-Requiem von Michael Haydn.)

Niccolò Jommelli (1714-1774) hatte von Neapel aus eine glänzende Karriere als Opernschöpfer gestartet. Die Opera seria wurde mit rund sechzig Werken seine Spezialität. Nur peripher, dafür auf höchster päpstlicher Ebene war sein dreijähriger Ausflug in die Kirchenmusik, als Vizekapellmeister der Cappella Giulia im Petersdom. Ab 1753 war Jommelli für 16 Jahre Hofkapellmeister in Stuttgart. Zwei opern pro Jahr schrieb er mindestens, aber mit der katholischen Kirchenmusik war's aber vorbei, denn in Stuttgart war der Protestantismus Staatsreligion. Die (katholische) Herzogsfamilie durfte ihre Messen nur privat feiern, ohne Glanz und Gloria. Nicht mal das Läuten von Kirchenglocken war dem Württembergischen Landeschef gestattet. Eine der ganz wenigen Ausnahmen, ein echt katholischer Staatsakt, war das Begräbnis der Herzogsmutter in Ludwigsburg, für das Jommelli sein Requiem schrieb.

Das Werk ist heutzutage nicht mehr so unbekannt – eine Aufnahme von den Ludwigsburger Schlossfestspielen 2013
 unter Reinhard Goebel findet sich sogar auf Youtube, eine CD-Aufnahme unter Peter van Heyghen ist erst in diesem Frühjahr bei Passacaille erschienen.

Giulio Prandi hat sich mit seinem Coro e Orchestra Ghislieri in Pavia auf die italienische barocke Kirchenmusik spezialisiert und sich schon einmal (für DHM) jener von Jommelli angenommen. Er ist also in den Stil eingefuchst und in der Lage, das Besondere an dieser Musik herauszukitzeln. Sandrine Piau, Carlo Vistoli, Raffaele Giordani, Salvo Vitale geben ein Solistenquartett ab, dem im Jommelli-Requiem außerordentliche Bedeutung zukommt. Anders als in vieler italienisch/neapolitanischer Kirchenmusik, in der Textabschnitte in Arien, Ensembles und Chöre sonder Zahl aufgefächert wurden, hat Jommelli das Requiem deutlich dichter gewoben. „Durchkomponiert“ wäre das falsche Wort, aber es fügt sich – das insgesamt auffallend weiche, im Tonfall pietistisch angehauchte Dies irae ist ein Musterbeispiel – eins ans andere. Barocke Gestik, der weiche Stil, der generelle Hang dieser Musik zur Verinnerlichung: Das bringt Giulio Prandi mit stilssicherem dramaturgischem Gefühl zusammen.

Auffällige Einzelheiten dieser im Detail dann doch hochexpressiven Komposition und ihrer Interpretation zu beschreiben, führte ins Uferlose. Jedenfalls steht die genaue Deklamation, das sich wie selbstverständlich geschmeidig zum Ganzen fügende Geflecht der Singstimmen, sei's solistisch oder im Chor, gegenüber dem Orchester im Vordergrund.

Anschaulich und auratisch: Rekonstruiert wurde der musikalische Ablauf eines solchen Requiems in damaliger Zeit, von Jommelli nicht vertonte Abschnitte sind der aus den Männerstimmen des Coro Ghislieri gebildeten Choralschola anvertraut. Die Postcommunio ist ja längst abgeschafft in der heutigen katholischen Liturgie, so wie übrigens auch das Dies irae. Dessen Schrecken werden im abschließenden Responsorium „Libera me“ nochmal zitiert, von Jommelli aber gemildert und in einen sanft tröstenden Streicher-Epilog übergeführt. Das geht in seiner Leisheit unter die Haut.

Niccolo Jommelli: Requiem. Sandrine Piau, Carlo Vistoli, Raffaele Giordani, Salvo Vitale; Coro e Orchestra Ghislieri, Ltg. Giulio Prandi. Arcana/outhere music – outhere-music.com