asdf
 

Der Charme der Giraffe

CD-KRITIK / CLAVICYTHERIUM

19/02/20 Das im Biedermeier gar nicht so seltene Giraffenklavier, also die vertikale Vollform eines Flügels, hat sich nicht durchgesetzt. Sie führt nur mehr ein Museums-Dasein. Noch viel, viel weniger Verbreitung aber hat das barocke Cembalo-Pendant gefunden, das Clavicytherium.

Von Reinhard Kriechbaum

Kaum in einer Instrumentensammlung ist ein Cembalo in senkrechter Bauart erhalten, und es gibt auch nur ganz wenige moderne Instrumentenbauer, die sich aufs Clavicytherium barocken Zuschnitts einlassen (etwas mehr Interesse unter Alttönern besteht am kleineren, spätmittelalterlichen Urmodell, das Michael Praetorius beschrieben hat). Umso singulärer ist das Clavicytherium im Germanischen Nationalmuseum. Es ist um 1620 gebaut und 1,80 Meter hoch. Wenn man es auf den Tisch stellt – es hat keine Beine – ragt es also über zweienhalb Meter in die Höhe. Der Spieler darf sich vorkommen wie ein Organist an einem Positiv, eben mit Saiten anstatt Pfeifen direkt vor dem Gesicht.

Das Nürnberger Clavicytherium lässt auch sonst an ein Orgelpositiv denken: Es hat zwei Achtfuß-Register und einen Vierfuß-Saitenreihe. Eines der Achtfuß-Register hat zwei Springerreihen, näher und weiter entfernt vom Steg. Das birgt eine weichere oder eine leicht nasale Klangoption. Schließlich gibt es noch einen lautenzug, und obendrein sind die Register links und rechts geteilt, bei f/fis in der eingestrichenen Oktav. Man darf wohl ausgehen dass dieses Instrument für einen Organisten gebaut worden ist. Aber Orgel und Cembalo gleichermaßen zu bedienen, war damals ohnedies so gut wie selbstverständlich).

Viele Klangmöglichkeiten jedenfalls, die Bernhard Klapprott mit Augenmaß nutzt. Er hat durchwegs venezianisch beeinflusste Musik gewählt, und zwar ausschließlich Werke, die original in Tabulaturschrift überliefert sind: Canzonen von Christian Erbach dem Älteren, Heinrich Pfendner, Jakob und Hans Leo Haßler; Balletti, Tanzsätze von Johann Staden, Valentin Dentzel, Carl van der Hoeven. Nicht zu vergessen auf Übertragungen von Vokalsätzen (Jacob Paix, Hans Leo Haßler) – also ein guter Querschnitt durch das, worüber Tastentiger vor allem im bayerischen und fränkischen Raum (mit den Zentren Nürnberg und Augsburg) im Frühbarock ihre Finger fegen ließen.

Diese Formulierung trifft auch deshalb zu, weil von den Interpreten damals technisch kunstfertiges und musikalisch geschmackvolles Diminuieren erwartet wurde. Diesem Auszieren widmet Bernhard Klapprott einen so umfänglichen und wie instruktiven Booklet-Text. Gerade bei den Intavolierungen von Gesangsstücken kommen durch kreatives Notenzerstückeln nicht selten Stücke heraus, deren Idiom vom Original abweicht – auch das war ein damals oft geübter, ja: von den Zuhörern erwarterter nach- und eigengestalterischer Vorgang.

Auch die Quellen für diese CD sind vorbildlich dokumentiert: Ein Gutteil der hier versammelten Stücke ist – auch oder einzig – in jenem 5400 Seiten starken Konvolut enthalten, das ein unbekannter Clavierist Ende der 1630er Jahre in Buchstaben-Tabulaturschrift zusammengestellt und damit ein übedimensionales Vademecum der Literatur seiner Zeit geschaffen hat. In der Nationalbibliothek von Turin befindet sich diese einzigartige Niederschrift.

Bernhard Klapprott erweist sich als immens stilkundig dieser über die Alüen gewanderten, aber eben doch deutlich italienisch angehauchten Tastenmusik. Dem entsprechen auch die Klangmöglichkeiten des Nürnberger Clavicytheriums, das erstmals auf CD dokumentiert wird. Darüber, dass waagrecht liegende Springer diesen Instrumententyp träger machen als das gewöhnliche Cembalo (bei dem die Springer aufgrund der Schwerkraft viel flinker zurückfallen), denkt man bei Klapprotts präzis entwickelten Diminutionen keine Sekunde nach.

Eine Pretiose sondergleichen ist das Ricercar noni toni von dem in der Fugger'schen Kapelle als Organist tätigen Christian Erbach: Darin kombiniert er in doppeltem Kontrapunkt zwei Themen von Palestrina, die Zeitgenossen gewiss bekannt waren: Polyphonie in Hyper-Meisterschaft.

All Lust und Freud. The Clavicytherium of the Germanisches Nationalmuseum Nuremberg. Bernhard Klapprott plays South German keyboard music from around 1600. Aeolus, AE-10174 – www.aeolus-music.com

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014