Löwen, Drachen und Sibyllen

MOZARTWOCHE / CONCERT DES NATIONS / SAVALL

01/02/23 Auf der Jagd nach dem Serienkiller im Roman Der Name der Rose guckt der Mönch Adson heimlich in eine spanisch-arabische Apokalypsen-Handschrift und wird von einem Löwen auf kräftig buntem Hintergund gehörig erschreckt. So ein Ungeheuer könnten Jordi Savall, Le Concert des Nations und Le Capella Nacional de Catalunya vor Augen und Ohren gehabt haben.

Von Heidemarie Klabacher

Wenn sie singen „Befreie sie aus dem Maul des Löwen, dass die Hölle sie nicht verschlinge“, dann stürzen die Seelen tatsächlich in die Finsternis. Kopfüberpurzelend. Schreiend. Hilflos. Selten noch hat man dieses „cadant in obscurum“ so plastisch, anschaulich, ja physisch bedrohlich erlebt.

Angriffig kommen, wie es sich gehört, auch in der Lesart von Savall die Drohpassagen daher. Das beginnt mit dem düster aufziehenden Tag des Zornes Gottes (es geht echt nix über katholische Erlösungsvisionen) im Dies irae, führt zur wenig trostreichen Begegnung mit dem König schrecklicher Gewalten im Rex tremendae bis hin zur Qual der Verdammten im Confutatis.

Die trostreichen Worte, meist auf einen Vers und Atemzug mit den Drohungen, kommen dafür umso delikater. Die exponierten Phrasen Salva me und Voca me, vermintes Gebiet für Chorsängerinnen, wurden von den Damen der Capella Nacional de Catalunya gar wunderbar klar und locker in der Höhe gesungen. Meist versteht man bei all den „a“ und „o“-Kantilenen den durchaus vorhandenen Text nicht, im bestem Fall bleibt sauber intonierter Wohlklang. Hier war es gestaltete Präzsion.

Le Capella Nacional de Catalunya, einstudiert von Lluís Vilamajó, singt auswendig, homogen, kraftvoll. Die Vokalsolisten Giulia Bolcato, Marianne Beate Kielland, Charles Sy und Manuel Walser boten ebenso untadelige Leistungen. Besonders strahlend war das Miteinander von Sopran- und Alt-Solistin.

Jordi Savall setzt auch mit dem Orchester auf eine eher handfeste Lesart, sorgt aber immer wieder für Überraschungen. So scheint im Lacrimosa mit den sündhaft Auferstandenen ein gemächlicher Trauerzug durch St. Luis zu schwanken (toll die verklingende Pauke). Die sich geradezu tristanesk auflösende Harmonie auf das Wort transire (hinübergehen) im Hostias lässt Savall ebenso genussvoll auskosten, wie jene auf den dritten Ruf nach ewiger Ruhe im Agnus Dei. Keine neuen Erkenntnisse zu KV 626, aber packende Momente.

Wozu um alles in der Welt vor das Requiem die Serenade G-Dur KV 525 Eine kleine Nachtmusik gepatzt werden musste, erschloss sich nicht. Hörbar auch nicht den Ausführenden: Jede kostümierte Truppe bei einem Touristen-Konzert spielt das sauberer. Ein solches Publikum weiß vermutlich auch, dass die Kleine Nachmusik vier Sätze hat und würde nicht nach dem Allegro hineinpatschen. Auch das lautstarke Hineinpatschen in den Schlussakkord des Requiems war keine Glanzleistung des Mozartwochen-Publikums. 

Von wegen Requiem: So ein Mozartwochen-Intendant aus Mexiko macht „originelle“ Programme. Zum Wochenende kommen die Wiener Philharmoniker unter Thomas Guggeis. Sie spielen auch das Mozart-Requiem, aber die Pariser Symphonie zur Einstimmung.

mozarteum.at/mozartwoche
Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher