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Ein "Fremdsprechen" der Welt

RAURISER LITERATURTAGE / DAS PROGRAMM

03/02/15 „Mit den neuen Wörtern, die man ausspricht, assoziiert sich auch ein neuer Anblick der Welt“ – so die Übersetzerin und Autorin Esther Kinsky, eine von vielen Sprach-Grenzgängerinnen, die heuer bei den Rauriser Literaturtagen von 18. bis 22. März zu Gast sind.

Von Reinhard Kriechbaum

Wegen dieser Option, die Welt durch den Spiegel der Wörter anders betrachten zu können, nennt Esther Kinsky das Erlernen einer Fremdsprache „ein ‚Fremdsprechen‘ der Welt“. „Mehr Sprachen“ ist heuer Thema der 45. Rauriser Literaturtage, und eingeladen sind Autorinnen und Autoren, die jeweils mehrere Blicke auf Sprache haben – auf jene des Landes, in dem sie geboren und mit der sie groß geworden sind, und aufs Deutsch, dessen Vokabel ihr aktuelles literarisches Handwerk bestimmt. Was die meisten der heuer Eingeladenen verbindet: Sie haben sich als Übersetzer einen Namen gemacht.

Ilma Rakusa, die zum Auftakt liest, gehört zu den Polyglotten ihrer Zunft: Sie ist geboren in der Slowakei, aufgewachsen in Budapest, Ljubljana und Triest, und lebt jetzt in Zürich. Sie übersetzt aus dem Russischen, Serbokroatischen, Ungarischen und Französischen, und zwar „die internationale Crème de la crème“, wie es Manfred Mittermayer formuliert, der die Rauriser Literaturtage gemeinsam mit Ines Schütz leitet.

Ines Schütz ist es ein besonderes Anliegen, die fruchtbaren Seiten der sprachlichen Grenzgängerei hervorzuheben. Als Lehrerin am Halleiner Gymnasium erlebe sie nämlich „dass manche Schüler die Zweisprachigkeit nicht positiv erleben“, sähen sie doch „ihre Namen mangels passender Sonderzeichen auf der Tastatur meist falsch geschrieben“ und hörten sie ihre Namen immer falsch ausgesprochen.

Unsere Sonnenblume heißt auf Französisch „tournesol“, und die Italiener sagen „girasole“. In einem Fall wendet sich die Sonne, im anderen geht sie auf Rundfahrt. Wörter sagen mithin viel aus über Sehweisen und Wesensart der Menschen, die sie gebrauchen. Und ganz handfest: In den slawischen Sprachen macht es beim Zeitwort in der Vergangenheitsform einen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau handelt. Lässt ein deutscher Ich-Erzähler also das Geschlecht seines Protagonisten oder seiner Protagonistin möglicherweise offen, so verlangt’s beim Übersetzen eine eindeutige Position.

Mit solchen Dingen, die also oft wesentliche Perspektiven berühren, sind jene Leute tagtäglich konfrontiert, die heuer in Rauris lesen und diskutieren werden: Etwa die Türkin Seher Çakır. Sie ist eine Spezialistin für Migrationsliteratur. Jaroslav Rudiš stammt aus Tschechien, Ann Cotten ist aus der amerikanischen Provinz erst nach Wien, dann nach Berlin gekommen. Anne Weber hat es von Deutschgland nach Frankreich verschlagen, Esther Kinsky lebt abwechselnd in Deutschland und Ungarn, übersetzt aber auch aus dem Polnischen, Russischen und Englischen. György Dálos, Mitbegründer der ungarischen Demokratiebewegung, überträgt deutsche und russische Litartur in seine Muttersprache. Sogar das neue Buch von Raoul Schrott, eine moderne Version von Hesiods „Theogonie“, kann man unter mehrsprachigem Aspekt sehen, denn der österreichische Schriftsteller spricht davon, dass die antike Götterwelt „Beispiel eines Kulturtransfers von Ost nach West“ sei.

Allen diesen Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern ist also ein zumindest bipolarer Blick auf Länder und Mentalitäten eigen. O.P. Zier leitet die Schreibwerkstatt, und auch da geht es um eine Art Mehrsprachigkeit, um den Dialekt nämlich.

Zum Thema „Mehr Sprachen“ passt als Kontrapunkt natürlich auch „Muttersprache“, Stichwort für die Einreichungen zum Rauriser Förderpreis. Den bekommt Birgit Birnbacher. Eine Ausnahme heuer: Die Trägerin des Literaturpreises Rauris, Karen Köhler, liest nicht am Eröffnungsabend (da hat sie eine Lesung in Deutschland), sondern am Samstag, 21. März.

Bis zu dreitausend Besucherinnen und Besucher zählt man jedes Jahr in Rauris. Es gibt einen Freundeverein (dem steht Brita Steinwendtner, die langjährige Leiterin der Literaturtage, vor). Sponsoren gibt es heuer leider um zwei weniger, dafür mehr Fördergeld: Das Land hat seine Subvention von 19.000 auf 22.000 Euro erhöht, die Gemeinde Rauris von 18.000 auf 20.000 Euro. Damit lässt sich gut (über)leben. Dass man keinen Eintritt zu den Lesungen in Rauris verlangt, gehört zur Basis-Ideologie des Festivals.

Die 45. Rauriser Literaturtage dauern von 18. bis 22. März und stehen unter dem Motto „Mehr.Sprachen“ – www.rauriser-literaturtage.at
Bilder: Rauriser Literaturtage / Lukas Beck (1); René Fietzek (1); Karl Peherstorfer (1); Tobias Böhm (1)
Zur Meldung über die Preisträgerinnen 2015
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