Lesen, wenn die Bomben kommen

LITERATURHAUS / HEINZ BACHMANN

18/10/10 Heinz Bachmann, der Bruder der großen österreichischen Dichterin, und Hans Höller, Aushängeschild der Salzburger Germanistik, stellten dem Publikum des Literaturhauses ein 17jähriges Mädchen vor. Eine hellwache Maturantin die verbotene Bücher liest und sich um die Zukunft sorgt, lange bevor ihr Name Schulen und Literaturpreise zieren wird.

Von Thomas Macher

altIngeborg Bachmanns „Kriegstagebuch“ vertraut dem Leser Erlebnisse, Ängste und geheime Gedanken der Autorin an. In den paar Seiten, niedergeschrieben kurz vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, werden die Gefühle einer Generation ansatzweise spürbar, deren elterliche Moralgebäude zerrüttet und deren Häuser zerbombt wurden. Doch eigentlich ist es die Geschichte der jungen Ingeborg aus Klagenfurt, die auf dem Dachboden ihrer Schule die dorthin verbannten Schriften von Schnitzler und Zweig findet und sich bei Fliegeralarm auf der Liegewiese sonnt.

Erzählt im schwärmerischen, durch die Realität des Krieges oft melancholischen Teenageertonfall, lassen die Aufzeichnungen an manchen Stellen bereits die Kraft der späteren Werke erahnen: „Ich habe einen Sessel in den Garten gestellt und lese. Ich habe mir fest vorgenommen, weiterzulesen, wenn die Bomben kommen.“

Vorgetragen von ihrem jüngeren Bruder Heinz wird das fast siebzig Jahre alte Zeitdokument noch einmal lebendig. Auch dadurch, dass es der Geophysiker versteht, das Tagebuch der Schwester durch seine eigenen Erinnerungen zu ergänzen. So entsteht ein Bild einer schwer geprüften, aber heilen Familie und einer jungen Frau, die sich in jenen dunklen Stunden dem Pazifismus verschreibt und dieser Haltung fortan treu bleiben wird.

Kurz nach Kriegsende trifft Ingeborg auf den britischen Soldaten Jack Hamesh, ein Wiener Jude der vor den Nazis nach England flüchtete. Aus anfänglicher Distanziertheit entwickelt sich, wie Heinz Bachmann meint, eine „platonisch-intellektuelle“ Freundschaft, kritisch beäugt von der Nachbarschaft, die es nicht verträgt, dass eine von ihnen „mit dem Juden“ geht. Hamesh, der mit 18 seine alte Heimat Österreich verließ, zeigt sich beeindruckt von der Reife und dem Wissen der angehenden Studentin und vergisst sie nicht, als er sich wenig später in Palästina niederlässt. Seine Briefe aus dieser Zeit, getragen von Sorgen über Vergangenheit und Zukunft, bilden den zweiten Teil des „Kriegstagebuchs“. Bei der Edition dieser historischen Dokumente stand Hans Höller auch moralisch vor keiner leichten Aufgabe. War doch über die Existenz Hamesh abgesehen von Ingeborg Bachmanns Aufzeichnungen und seinem letzten Brief an sie aus dem Jahre 1947 nichts weiter bekannt.

Intensive Recherchen in Archiven und Annoncen in israelischen Zeitungen erbrachten zunächst auch keine Hinweise auf das Schicksal des jungen Auswanderers. Erst die große Resonanz auf das Buch und die Anfragen vieler Leser, bewegten den Archivar der israelischen Kultusgemeinde dazu, selbst nachzuforschen und das Geheimnis um die Identität Jack Hamesh zu lüften.

So findet auch die Geschichte des vertriebenen Wiener Juden, der in langen Briefen von den „ungeheuren Schwierigkeiten“ in der neuen Welt und von der Unmöglichkeit des Vergessens der alten, furchtbaren Zeit berichtet, letztlich ein gutes Ende. Hamesh gründete eine Familie und bis zu seinem Tod im Jahr 1987 blieb er in seinem, auch durch ihn mitgeschaffenen, Heimatland.

Bald wird Heinz Bachmann nach Israel reisen und dort nach den Briefen suchen, die seine Schwester an ihren Freund schrieb. Hoffentlich findet er sie. Nicht nur der Briefwechsel, sondern auch die gemeinsame Geschichte von zwei jungen Menschen aus zwei neuen Ländern am Anfang ihres Lebenswegs wäre damit vervollständigt.

Das "Kriegstagebuch" von Ingeborg Bachmann ist im Suhrkamp Verlag erschienen.