Und wo ist heute der Reißzahn?

LITERATURHAUS / LESUNG BERNHARD

11.02.2010 Ist Thomas Bernhard, 35 Jahre, nachdem er begonnen hat, über Salzburg zu schreiben, endlich voll eingemeindet? - Eine Lesung mit Franz Froschauer und Manfred Mittermayer.

Von Gerald Schwarz

Auf dem Podium zwei Herren in Schwarz (der Schauspieler Franz Froschauer und der Literaturwissenschafter Manfred Mittermayer), in einem vollen Haus, stark bestückt mit Menschen ab der Lebensmitte und mit ungewöhnlichvielen Männern (für ein Literaturprogramm) - eine weitere Runde Thomas-Bernhard-Exegese im Literaturhaus Eizenbergerhof, ganz klar.

Und trotzdem: Wie schon beim Lesen von Bernhards Texten (wenigstens den besten) das scheinbar Immergleiche dann doch immer wieder zu schillern beginnt, fand auch am Mittwoch (10.2.) das bereits gut eingespielte Tandem Mittermayer-Froschauer wieder neue Schätze abseits der Routine. Manfred Mittermayer hatte abermals neuere historische Hintergrundinformationen ausgegraben, die er in bewundernswerter Sprachpräzision und ohne billiges Fraternisieren mit der Bernhard-Gemeinde darbot. Rezitator Froschauer wiederum gab den verschiedenen, durchwegs längeren Ausschnitten aus "Die Ursache" und "Der Keller" jeweils eigene Farben und schaffte es, die Hörer unangestrengt sinnhaft durch Bernhards Sprachpartituren zu lotsen. Mit besonderer Lust arbeitete er sich durch den legendären "entgegengesetzte Richtung"-Abschnitt, der den "Keller" eröffnet.

Dabei hatten die Reaktionen im Eizenbergerhof - an dem, wie der Leiter des Hauses erinnerte, Thomas Bernhard sicher oft vorbeigegangen ist - einen durchaus mulmigen Unterton: Ist dieser Schriftsteller ein Jahr nach seinem 20. Todestag, ein Jahr vor seinem 80. Geburtstag, 35 Jahre nach dem Beginn seiner rabiaten literarischen Auseinandersetzung mit seiner Heimatstadt endlich in lokaltypischer Manier "eingemeindet" worden? Fast schien es am Mittwoch so: Passagen, die vor Jahrzehnten einen Aufschrei und viel falsches Augenmerk auf falsch gelesene oder aufgeblähte Textteile hervorgerufen haben, wurden nun durchwegs mit verständnisinnigem Gegluckse und zufriedenen Blicken in die Runde quittiert.

Gewöhnung? Oder doch das falsche, politisch korrekte Publikum? Oder hat Bernhard seinen Reißzahn eingebüßt? Das wäre wirklich schade!